Wir haben in der „Luxemburger Zeitung“ schon gegen die groteske Maßregel Stellung genommen, mit der die luxemburger Post das Publikum überrascht, indem sie für den Neujahrstag eine vierundzwanzigstündige Betriebseinstellung ankündigt.
Diese Verwaltung, die seit ein paar Jahren ihre Monopolstellung mißbraucht, um das Publikum zu brandschatzen, weiß, daß sie gegen einen Frontangriff der Presse sicher ist, weil sie bei Einführung des Quäkersonntags sich der Zustimmung aller Blätter mit Ausnahme der „Luxemburger Zeitung“ vergewissert hatte. Den andern war es egal, da sie Sonntags nicht erscheinen. Warum hätten sie also für unsere Sonntagsmorgenausgabe Propaganda machen sollen?
So wurde denn mit ihrer gütigen Zustimmung das Land mit dem Quäkersonntag des Herrn Neyens beglückt. Alle Welt ärgert sich darüber gelb und grün, aber die Presse muß schweigen, weil Herr Neyens sie ab initio zu seiner Mitschuldigen gemacht hat.
Das Wort Brandschatzung ist nicht zu hart. Kürzlich war von der Überforderung beim Bezug deutscher Blätter die Rede. Heute beklagt sich die Geschäftswelt darüber, daß die Post ihre Portosätze um 250 Prozent erhöht hat, während sie z. B. beim Ersatz eines in Verlust geratenen Postpakets immer noch nach den Vorkriegssätzen entschädigt.
Aber bleiben wir bei dem jüngsten Schwabenstreich der Post, dem Neujahrsruhetag. Er wurde hier schon vom Standpunkt des Verkehrs, des Publikums beleuchtet. Daneben gibt es den Standpunkt der Briefträger, und dieser deckt sich großenteils mit dem des Publikums.
Auch der Laie kann leicht einen Einblick in die Sachlage gewinnen, wenn ihm ein Fachmann nur die rudimentärsten Aufschlüsse gibt. Er macht sich sofort klar, daß die Briefträger den bis zum Wahnsinn gesteigerten Neujahrsverkehr nicht bewältigen kön- nen, wenn sie nach einem gradezu verrückt gewählten Ruhetag sich am Tage nach Neujahr dem aufgehäuften Einlauf von achtundvierzig Stunden gegenübersehen. Sie sind ohnehin seit nahezu zwei Monaten wie Packesel mit dem Analytischen beladen, schleppen sich mit dreißig, vierzig Pfund Druckpapier, außer der gewöhnlichen Korrespondenz, über Land und durch die Städte, hier oft bis unters Dach hinauf. Und als Krönung des Ganzen beschert ihnen Mütterchen Post zu Neujahr eine wahre Sklavenarbeit, nach einem Ruhetag, den sie mit Freuden gegen den früheren Zustand umtauschen würden!
Die Sache hat für sie noch eine andere Seite. Trinkgeld! sagt gleich der freundliche Leser.
Geben wir der Sache nicht diesen Namen! Er hat einen Beigeschmack, den er hier nicht verdient. Ich verstehe es, wenn der Kellnerstand das Trinkgeld durch eine feste Vergütung zu seinen Gunsten ersetzt sehen will. Beim Briefträger hat diese alte Gepflogenheit einen ganz andern Charakter. Der Briefträger ist nicht irgend ein Mann, der uns einmal bei Tisch bedient und den wir dann vielleicht nie im Leben mehr sehen. Er ist gewissermaßen ein Teil unseres Alltags, er bringt uns jahraus jahrein bald Freude, bald Leid. In unsern Tagen der Dienstbotenmisere gehört der Briefträger oft mehr zur Familie, als andere Hausleute. Er steht unsere Kinder groß und unser Haar grau werden, er ahnt, wenn uns eine Sendung Trauer oder Freude bringt und seine Teilnahme gehört uns, auch wenn er kein Wort sagt. Und dann: Er ist sozusagen der einzige Mensch, in dem für uns der Staat in die Erscheinung tritt und der immer nur bringt und nicht fordert. Es ist uns Herzensbedürfnis, diesem Mann am Neujahrstag, wo alles sich beschenkt, durch ein Geschenk, mit dem er sich und den Seinigen eine kleine Freude machen kann, zu zeigen, daß wir uns dieser Zusammengehörigkeit bewußt sind. Soll denn die ganze Welt nach Soll und Haben eingerichtet werden und nirgends etwas bleiben, was man sich ohne gesetzliche und kontraktuelle Verpflichtung zuliebe tut?
Wer seinem Briefträger ein Neujahrsgeschenk geben will, kann das freilich auch am 2. Januar tun. O ja!
Aber fühlen Sie nicht, daß es nicht dasselbe ist? Daß die Neujahrsstimmung und die Neujahrsfreude fehlt?
Es ist wie ein Niklaus- oder Namenstagsgeschenk am Tage nachher.
Und wer nichts geben möchte, ist nur zu froh, daß er die Entschuldigung hat: An Neujahr habe ich meinen Briefträger nicht gesehen.