Die Wahrheit bricht sich Bahn, langsam, aber sicher.
Erst heute kommt mir ein Vortrag zu Gesicht, den Professor Edm. J. Klein vor drei oder vier Jahren im Verein für Volks- und Schulhygiene über „Hygienisches und Ethisches vom Rauchen“ gehalten hat.
Allen Respekt vor der Gelehrsamkeit meines alten Freundes. Aber hier scheiden sich unsere Wege.
Was er über das Hygienische oder Antihygienische des Rauchens sagt, sei ihm zugute gehalten. Mit dem Tabak ist es, wie mit allem, die einen vertragen ihn, die andern vertragen ihn nicht. Sehe jeder, wie er’s treibe, sehe jeder, wo er bleibe, und wer steht, daß er nicht falle! Es werden über die Schädlichkeit des Tabakrauchens und darüber, was daran das eigentlich Schädliche sei, so widersprechende Theorien vertreten, daß man sich über eine mehr oder weniger nicht aufzuregen braucht.
Aber im Kapitel „Zur Ethik des Rauchens“ versteigt sich der Herr Professor zu Behauptungen, die im Namen aller ferventen Raucher, speziell Pfeifenraucher, bekämpft werden müssen.
Er stellt zunächst Betrachtungen darüber an, welchen Genuß denn eigentlich der Raucher von seiner Leidenschaft habe. „Es kann, so sagt er, nicht der Duft und der Geschmack des Rauches sein, der das Anziehende ausmacht, denn jeder weiß, daß es im Dunkeln nicht möglich ist, die brennende von der nicht brennenden Zigarre zu unterscheiden.“ Erstens ist es nicht wahr, daß jeder weiß, im Dunkeln sei die brennende Zigarre von der nicht brennenden nicht zu unterscheiden. Der Raucher merkt schon an der Temperatur, ob er Rauch von einer brennenden Zigarre oder kalte Luft einzieht. Ich habe Blinde gekannt, die mit Hochgenuß ihre Pfeife rauchten. Es war doch wohl das Aroma und der Geschmack des brennenden Tabaks, der ihnen ihr Klöbchen unentbehrlich machte. Der Zigarren- und Zigarettenraucher ist allerdings gewohnt, mit den Blicken das Fortschreiten der Glut an seinem Glimmstengel zu verfolgen. Im Dunkeln entbehrt er darum eines der Momente, die im Zusammenhang mit dem Rauchen seine Aufmerksamkeit binden, aber das ist eine Nebensache, die beim Pfeifenraucher vollständig wegfällt.
Nein, nicht vollständig. Denn zum Genuß des Rauchers gehört es, daß er den Tabakwölkchen nachträumt, die sich in die Höhe kräuseln, daß er Ringlein raucht, daß er seine Gedanken in die blauen Rauchfädchen hineinspinnt und sie an der Sonne und an der Luft zergehen läßt. Man sollte sich überhaupt die Lust am Rauchen nicht so simplistisch ausmalen, wie es der von Professor Klein zitierte Herr Lehmann tut, wenn er die Wirkung der Zigarre durch die Gewohnheit erklären will. „Die Zigarre wirkt in gewissen Fällen gewiß nicht anders, als ein bequemer Schreibtisch, eine stimmungsvolle Tapete oder ein sonstiges psychisches Hilfsmittel.“
Das wäre ja schon etwas. Aber die Lust am Rauchen ist mehr. Sie ist ein Genuß ganz eigener Art, eine einzigartige Mischung von sinnlichem und geistigem Lustempfinden. Wenn schon des Duft derjenige Sinneseindruck ist, der die feinsten Stimmungsnüancen auslöst, so kommt hier dazu, daß einerseits die Beschäftigung des Rauchens in wohltuender Weise Gedanken und Empfindungen löst, zugleich beschwichtigt und anregt, und daß auf der andern Seite der positiver gerichtete Geschmack seinerseits beteiligt ist. Das Urorgan aller Sinnesgenüsse ist der Mund, und der ist hier in erster Linie Mietgenießer. Pfeife und Zigarre sind niemals besser in ihrer Wirkung auf Sinne und Psyche des Rauchers charakterisiert worden als durch den Ausdruck „Schnuller“, den eine Frau gefunden hat.
Wie weit der Herr Professor von dem Verständnis für das Wesen des Rauchens entfernt ist, beweist er durch Bemerkungen in der Art der folgenden: „In einigermaßen anständigen Veranstaltungen, Vorträgen, Konzerten, Theatervorstellungen wird das Rauchverbot streng durchgeführt, und dadurch gewinnt das Rauchen einen unvornehmen, nichtfeinen Zug.“ ... „Jede Zusammenkunft ist würdiger, wenn bei ihr nicht geraucht wird.“ ... Beim Betreten der Kirche, des Gerichtssaales, der Amtsstube klopft selbst der schlichte Landbewohner sein Pfeifchen aus.“
Es gibt viele Dinge, die nicht in die Kirche oder ins Theater oder in die Amtsstube gehören und dennoch nicht von Herrn Professor Klein verpönt werden. Ich bin überzeugt, daß er eine Portion öslinger Schinken für eine der schönsten Einrichtungen seiner engeren Heimat hält, und doch wird er nicht beim Hochamt ein Schinkenbrot aus der Tasche ziehen und sich zu Gemüt führen.
Es wäre noch Vieles gegen die antinikotinische Philippika des Herrn Prof. Klein vorzubringen, aber er hat sicher keinem Raucher seine Pfeife oder Zigarre verekelt, darum sei ihm verziehen, daß er über ein Thema gesprochen hat, das er sicher nicht aus eigener Erfahrung kennt.