Jeden Morgen, wenn ich vors Haus trete, nehme ich die Witterung und blicke nach der Wetterfahne, ob es denn zu Weihnachten nicht endlich schneien wird.
Age quod agis, was du tust, tue ganz! Wenn es Winter ist, soll es Winter sein. Zum Winter gehört Eis und Schnee. Das Eis hatten wir schon reichlich, Schnee scheint ausverkauft zu sein, wie in Trier alle gangbaren Schuhnummern.
Und doch gehört der Schnee zum Winter, wie die Musik zum Konzert. Wenn der Frost die Natur getötet oder sagen wir nur eingeschläfert hat, soll der Winter auch mit der weißen Schneedecke her. Einen Toten oder einen Schlafenden läßt man nicht nackt am Boden liegen.
Und ein Weihnachten ohne Schnee ist wie ein Gemach ohne Möbel und Gardinen. Guter, liebster, bester Wettermann, laß es am heiligen Abend schneien, daß die Welt aussteht, wie von eitel Schwanenflaum. Alles fleht dich darum an.
Zuerst der Politiker. Der Politiker ist überzeugt, wenn die Zollvereinsfrage zwischen Belgien und uns gelöst ist, wird die Welt wieder normal. Bis jetzt war es, als habe ein Forscher auf den Nordpol getreten, so ging mit der Witterung alles durcheinander. Das hing für den Politiker nur mit der ewigen Unsicherheit unserer Orientierung zusammen. Sobald der Vertrag mit Belgien perfekt ist, wissen wir, woran wir sind, und dann kommt auch wieder Ordnung ins Meteorologische. Sonnenschein und Regen werden wieder in gut mitteleuropäischer Folge miteinander abwechseln, im Winter wird es wieder frieren und schneien, wie vor dem Krieg, und in der Politik wird sich alles wieder richtungssicher einstellen.
Für den Poeten ist der Schnee um Weihnachten eine kapitale Angelegenheit. Er braucht die verschneite Waldkapelle im Gebirg, durch die hellen Fenster fällt rosiger Schein auf die weiße Decke, Kirchgänger ziehen tief vermummt auf allen Pfaden zur Mitternachtsmette, und der verlorene Sohn steht tiefbewegt an einer Fichte und hört die erlösenden Orgelklänge und die Tränen fließen und die Erde hat ihn wieder.
Der Wirtschaftler steht der Schneeangelegenheit durchaus sachlich gegenüber. Er denkt an die Wintersaaten, die an Frost und Trockenheit einzugehen drohen, er sehnt für sie die gute, alte halbmeterhohe Schneedecke herbei, die bis in die letzten Märztage alles mütterlich bedeckt und dann an den Strahlen der Lenzsonne hinwegtaut, hübsch langsam und deutlich, daß die Frühlingserde jeden Tropfen in sich hineintrinken kann, tief tief in sich hinein, bis dahin, wo sich die Quellen und Brunnen sammeln, damit der Vorrat an Himmelsnaß reicht bis zum nächsten Schnee. Denn der Regen im Winter tut’s nicht, der schießt über die nackte Erde fort, ohne richtig einzudringen, und hetzt die Bäche und Flüsse auf, daß sie nächstens über die Ufer treten und den Menschen in die Keller, in die Häuser, in die Schubläden und in die Klaviere steigen, wo sie nach Wasser gar kein Verlangen tragen.
Ein starker Schnee-Interessent ist auch der Jäger. Er wartet mit Sehnsucht auf eine Neue, damit endlich die Kreiser eine Rotte Sauen bestätigen können, oder damit er im Spurschnee sehen kann, ob das Schwein, das sich in die Dickung gesteckt hat, ein Keiler ist oder ein angehendes oder ein hauendes Schwein, ein Hauptschwein oder eine grobe Sau. (Diesmal wird mir mein Freund Victor bestätigen, daß ich keine Sünde wider den hl. Geist der Jägersprache begangen habe.)
Die Menschengattung, die man Rodler nennt und die seit einigen Jahren ausgestorben scheint, habe ich bis zuletzt aufgespart. Für sie hat ein Abhang, wie der Papier- oder Peiffeschberg, nur dann Daseinsberechtigung, wenn er mit Schnee bedeckt ist. Sie ist bereit, einen schönen Schneetag mit Arm- und Beinbrüchen bar zu bezahlen. Und sie sendet sehnsüchtiger, als alle anderen, die Stoßseufzerfrage gen Himmel: Wann, wann endlich?
So, wenn es diesmal nichts hilft, gebe ich das Wettermachen auf.