Original

24. Dezember 1921

«La Voix des Jeunes», journal de l’Association Générale des Etudiants Luxembourgeois.

Es gibt Ströme, die an gewissen Stellen plötzlich unter der Erde verschwinden und meilenweit talab wieder zum Vorschein kommen. Ihre Wässer haben sich unterirdisch einen Weg gesucht, weitere Quellen aufgenommen, manchmal sich geklärt und sind dabei größer und stärker geworden.

Unserer akademischen Jugend sei gewünscht, daß dieser Vergleich auf ihr Blatt paßt.

Die Unausgegorenheit, die seinerzeit in den ersten Nummern der «Voix des Jeunes» so herrlich schäumte, fehlt diesmal fast ganz. Die gewagtesten Aufsätze sind zahm elegisch. Jim Smiley läßt seiner gemütlichen Streitsucht kurzen Lauf, vom Montmartre schicken ein paar Kameraden skeptisch angehauchte Lieder, die wie zahmer Jehan Rictus anmuten, X. überläßt sich mit schmerzlichem Genuß seinem genußreichen Schmerz, Frantz Clement sagt in wuchtiger Prosa gütige und wahre Dinge über René Engelmann aus, Mathias Esch kokettiert in schön gerundeten Sätzen mit einem Pessimismus, zu dem seine kraftstrotzende Natur keinen Anlaß hat - Sie sehen, ganz vom ersten Aufgebot sind diese Jungen nicht mehr.

Indes, im Geistigen ist man immer so jung und so alt, wie man will. In einem sind die Jungen diesmal nicht so jung, wie es die Jugend von heute zu sein pflegt: In der Bescheidenheit, mit der sie den ältern Semestern den Vortritt lassen: René Engelmann und dem prachtvollen Echternacher Chronisten, dessen Name noch nicht genannt wird, aber männiglich bekannt sein dürfte.

Dieser ist der Jüngste, weil er aus einer Welt zu uns redet, die gegen die unsere erstaunlich jung war. Es ist nur logisch, daß wir die zweitletzte Jahrhundertwende, die 121 Jahre zurückliegt, gegen unsere Zeit als die jüngere einschätzen und daß die Menschen, die sie erlebten, gegen uns die jüngeren sind. Ein Greis von 1789 war immer noch jünger, als ein Primaner von heute, dem das Leben vor lauter Vielfältigkeit nicht klar werden kann, der sich fertig dünkt, ehe er angefangen hat und den falsche Propheten in allerhand Wüsten locken, aus denen er nicht mehr heimfindet.

Diese Echternacher Chronik «Souvenirs et Causeries» wird auf lange Zeit hinaus der «Voix des Jeunes» einen treuen und ausgedehnten Leserkreis sichern.

Und René Engelmann! An diesen kann nie oft genug erinnert werden. Frantz Clement hat recht: An jeder Zeile, die nach seinem Tode von ihm erscheint, sehen wir, daß wir an ihm viel mehr verloren hatten, als wir anfänglich meinten. Er hatte die Fülle und Frische der Gesichte, die ein Zeichen der geistigen Jugend sind, er war gütig, er war ernst, er war diskret und konnte eins, was Unzählige nie lernen werden: Er konnte schweigen und fortgehen, wo andere faseln und sich aufdrängen. Er schwieg nur zu oft und ging nur zu früh. Der «Voix des Jeunes» sei es gedankt, daß sie wieder an ihn erinnerte.

Noch ein Wort in persönlicher Angelegenheit: Unter Mixed Pickles heißt es, die „Luxemburger Zeitung“ schweige hartnäckig über das neueste Werk von Nikolaus Welter „Dantes Kaiser“ und die Weltersche Muse habe bei uns nie in hohem Ansehen gestanden.

Erstens: Es ist bei allen Zeitungen Regel, daß sie nur solche Werke besprechen, von denen Rezenstonsexemplare eingeschickt werden. Von „Dantes Kaiser“ ist ein solches hier noch nicht eingegangen. Wir müssen daraus schließen, daß eine Besprechung nicht gewünscht wird.

Zweitens: Wer sich der Besprechungen erinnert, die Welters Werke in der „Luxemburger Zeitung“ erfahren haben, kann wahrhaftig nicht sagen, seine Muse sei hier als Stiefkind behandelt worden.

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KatalognummerBW-AK-009-2048