Original

28. Dezember 1921

Ich erhielt kürzlich folgenden Brief:

„Sehr geehrter Herr! Ich bewundere Sie oft, wie Sie in Ihrer Zeitung Leute herausstreichen, die das um Ihr Blatt gar nicht verdient haben. Wie oft kommt es vor, daß einer, der sich wunder wie gescheit dünkt, in Gesellschaft über die „Luxemburger Zeitung“ herfällt, kein gutes Haar an ihr läßt, sich hoch und heilig verschwört, sie beim nächsten Quartalwechsel zu kündigen, weil „nichts drin steht“, weil sie zu weit links oder zu weit rechts steht, weil sie zweimal täglich erscheint, weil in Unterschlindermanderscheid ein Kalb mit zwei Köpfen geboren wurde, ohne daß die Zeitung darüber einen Rindvieh-Zivilstand aufmachte usw. Und ein paar Tage später lese ich in derselben Zeitung, an der der Mann kein gutes Haar gelassen hat, daß er einer unserer hervorragendsten Mitbürger ist, eine Zierde seines Standes, ein Führer des Volks, einer der besten Luxemburger, ein Mann gleich hervorragend durch Intelligenz wie durch Charakter usw.

Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, denn es wirkt schlecht. Es wirkt ungefähr so, wie wenn jemand an Buben, die ihn eben auf den Rücken mit Dreckkügelchen beworfen haben, Bonbons oder Sousstücke verteilt. Sehen Sie sich also demnächst besser vor. - Einer, der es gut mit Ihnen meint.“

Lieber Anonymus! Ich danke Ihnen gerührt für Ihren wohlgemeinten Rat. Aber meinen Sie wirklich, daß es so schlimm ist? Über eine Zeitung her- fallen, ist ein harmloses Vergnügen. Man schimpft darüber, wie über das Wetter. Sind Sie sicher, daß Sie selbst niemals die „Luxemburger Zeitung“ schlecht gemacht haben? Sehen Sie, und doch meinen Sie es gut mit ihr.

Gegen dergleichen lernt man allmählich sich mit der Weisheit der Völker wappnen. Bien faire et laisser dire! Sammle glühende Kohlen auf dem Haupt deiner Feinde! Die Hunde bellen, die Karawane zieht vorüber! Usw. usw.

Wir sind die Karawane.

Unsere Kritiker zerfallen in allerhand Kategorien. Die amüsantesten sind die, die an der Zeitung allerhand auszusetzen wissen, weil sie sie niemals lesen. Sie erinnern mich an den Korrespondenten, der uns auch einmal das Blatt vor die Füße warf und erklärte, er werde gleich morgen sein Abonnement kündigen. Dabei war er nie abonniert, er lieh sich nur jeden Tag vom Briefträger die Zeitung eines Abonnenten bis zum folgenden Bestellgang aus, und als die Abonnenten deshalb über unregelmäßige Zustellung klagten, war er der erste, der uns Bummelei in der Expedition vorwarf.

Andere finden, es stehe nicht genug in der Zeitung, weil ihre Prosa nicht öfter darin steht. Und sie steht nicht öfter darin, weil sie entweder zu länglich oder unzulänglich ist. Der größte Feind einer Zeitung ist der Mann, der sich einmal hingesetzt und einen Artikel verfaßt hatte, worin er den Leuten zeigen wollte, was eine Harke ist, und der dann sein Elukubrat zurückerhielt mit der Bemerkung, es eigne sich nicht zur Veröffentlichung.

Warum soll man einem solchen Mann nicht gerne erlauben, seinen Ärger herauszuschleimen, und warum soll die Zeitung, die er Käseblättchen, Anzeigeblatt, langweilig und kreuzdumm geschimpft hat, ihm darob grollen? Warum soll sie ihm nicht die üblichen Zeilen der Anerkennung widmen, wenn sich eine Gelegenheit bietet? Warum soll der Mond den Pudel nicht bescheinen, der ihn anbellt? Hat es dem Mond bisher in seinem Ansehen geschadet, daß er nie zurückbellt?

Mir fiel beim Lesen Ihres Briefes das allerliebste Geschichtchen ein, das Hebel von einem alten Hausierjuden erzählt. Die Kinder riefen dem Alten immer ein Schimpfwort nach, und er überlegte sich lang, wie er sie zum Schweigen bringen könnte. Eines Tages verteilte er an die kleinen Schreier eine ganze Hand voll Hellerstücke. Andern Tags wieder. Und so drei oder vier Tage lang. Am fünften zuckte er bedauernd die Achseln und sagte: Kinderchen, es sind keine Heller mehr da! Da waren die Kinder enttäuscht und sagten: Wenn du nicht mehr bezahlst, rufen wir auch nicht mehr!

Er tat sehr betrübt, aber sie ließen sich nicht erweichen, und von Stund an war er die kleinen Schimpfbolde los.

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