Herr Kunsthändler Wierschem wird dieser Tage die Physiognomiker und solche, die es zu sein glauben, auf eine harte Probe stellen.
Er wird in seinem Schaufenster zwei Bilder von Jünglingen ausstellen, die vor über hundert Jahren gemalt wurden. Es sind zwei bartlose Gesichter mit niedergeschlagenen Augen, die zwei Brüdern namens Hauser aus Mehringen in Württemberg gehörten. Der jüngere, Emmanuel Hauser, hat langes, blondes Haar, das à la Frommer Heinrich seitwärts aus der Stirne gestrählt ist und bis in den Nacken fällt. Dazu einen direkt süßen Kindermund mit einem Anflug von Trotz über der Oberlippe, im Ganzen ein Gesicht wie von einem verwöhnten Fürstensöhnchen, obgleich der junge Mann schon 22 Jahre alt ist. Sein Bruder, Hirsch Hauser, 80 Jahre alt, trägt die braunen Haare im Nacken kurz, aber auf dem Scheitel breit seitwärts gekämmt. Auch er hat ein hübsches Gesicht und einen auffallend unmännlichen Mund, um den ein schmerzlicher Zug liegt. Beide Brüder verhüllen, wie gesagt, den Blick, beide haben über den gesenkten Lidern große, schön geschwungene Augenbrauen. Während der Jüngere eine Art Schillerkragen trägt, der den Hals frei läßt, ist der Ältere nackt bis an den Rand des Bildes, der die Figur in Schulterhöhe abschneidet.
Beide Antlitze wirken auf den ersten Blick vornehm, wie die Antlitze von Jünglingen aus Kreisen, in denen brutale, niedrige Leidenschaften keine Geleise in die Seelen geschliffen haben.
Nachdem der Beschauer zu diesem Resultat gelangt ist, liest er auf den vergilbten Zetteln, die auf die untere Rahmenleiste aufgeklebt sind, die folgenden Angaben: «Hauser Emmanuel (dit Mendel), âgé de 22 ans, né à Mehringen, Royaume de Wurtemberg, exéeuté à Luxembourg, Place du Marchéaux-Poissons, le 18 octobre 1816, à 11 heures du matin.» - «Hauser Hirsch, âgé de 30 ans, né à Mehringen, royaume de Wurtemberg, exécuté à Luxembourg, marché aux Poissons, le 18 octobre 1816.»
Das war drei Jahre nach der Hinrichtung des Schinderhannes.
Die Brüder Hauser hatten in der Nacht vom 6. zum 7. April 1816 im Hause Nr. 23, Trierer Straße, Unterstadt Grund (das Haus wurde 1863 bei der Vergrößerung des früheren Militärhospitals abgetragen) einen vierfachen Raubmord begangen, und zwar an der Witwe des Remacle Trausch, zeitlebens Zimmermann in Vianden, geborenen Anna Maria Wirotte, 41 Jahre alt, der 20jährigen Petronilla Trausch, dem 14jährigen Peter Trausch und dem siebenjährigen unehelichen Peter Ludwig Wirotte. Ein Grund zu dem Verbrechen wird in der Chronik nicht angegeben. Die beiden Mörder werden als «fournisseurs, domiciliés en dernier lieu à Luxembourg» bezeichnet.
Die Hinrichtung wurde vor dem Zivilstandsbeamten der Stadt Luxemburg, François Scheffer, durch die Herren Jean Baptiste Poisson, 51 Jahre, Greffier des Assisenhofes, und Louis Langers, 66 Jahre, Gerichtsvollzieher beim Gericht erster Instanz in Luxemburg in der Form bescheinigt, daß sie erklärten, die Brüder Hauser seien «décédés aujourd’hui à 11 heures du matin, sur la Place du Marché aux Poissons.»
Man versetzt sich in Gedanken in jene Zeit, die nach den langen Wirr- und Mühsalen der napoleonischen Kriege allerhand menschlichen Schlamm an die Oberfläche gebracht hatte und der sich die Gegenwart von heute in manchen Punkten vergleichen läßt. Und man kann sich des Gedankens nicht erwehren, daß, hätte damals schon das Kino bestanden, dieses sonder Zweifel für das Verbrechen der Gebrüder Hauser verantwortlich gemacht worden wäre.