„Mein lieber Herr!“ sagte der Bademeister. „Da sehen Sie meine leeren Kabinen, und draußen die leeren Bänkel Früher, wo das Bad nur 1.25 Fr. kostete, hatte ich jeden Tag meine Zellen voll, und draußen saßen sie stundenlang zu warten, bis eine Wanne frei wurde. Heute vergehen Tage, wo ich nicht ein einziges Bad habe. Und auf der Damenseite ist es womöglich noch schlimmer. Früher gab es da zweierlei Kundschaft. Die einen kamen vor Weihnachten und Ostern, die andern vor Fastnacht und Schobermeß. Heute ist es alles mögliche, daß die Fastnacht- und Schobermeßkundschaft uns noch treu bleibt, die andern warten auf bessere Zeiten.“
Es stellt sich also heraus, daß bei unsern Mitbürgern der Sparpfennig mehr gilt, als eine reinliche Haut.
Sparen ist eine herrliche Volkstugend. Sauberkeit aber auch. Wie bringt man beide in Einklang? Dadurch, daß die Bäder verbilligt werden. Das hat sich jetzt schon als unerläßlich herausgestellt.
Die Verdoppelung der Bäderpreise wird nach den bisherigen Erfahrungen das Defizit im Büdget der Badeanstalt nicht nur nicht kleiner, sondern umgekehrt um ein Erkleckliches größer machen.
Zu diesem finanziell bedauerlichen Erlebnis kommt das kulturell noch bedauerlichere, daß sich die Städter ihres liebgewonnenen Bades entwöhnen, weil entwöhnen müssen.
Das kommt einer Katastrophe gleich.
Wenn die Trambahnpreise erhöht werden und das Zahlvermögen des Einzelnen übersteigen, geht er zu Fuß. Das gereicht ihm weder physisch noch seelisch zum Verderben. Es kann sogar sein, daß er sich im Gegenteil sehr gut dabei befindet, daß er an Bauchumfang ab- und an Appetit zunimmt. Wenn mir Theater und Konzert zu teuer werden, bleibe ich zuhaus und flüchte zu meinen Büchern, schlägt das Bier auf, trinke ich einen Humpen weniger. Das hat alles keine tieferen Folgen.
Wird mir aber das Bad derart verteuert, daß ich leiden muß, wie sich mir die Poren langsam zusetzen, wie sich meine Haut langsam mit den winzigen Schlacken der inneren Verbrennung überzieht, wie ich langsam aus der Gemeinschaft der Saubern in die Gemeinschaft der Ungewaschenen hinübergleite, dann dauert es nicht lang, bis auch die ethische und moralische Unsauberkeit mit dem Capua ihrer Kompromisse zu locken beginnt.
Nirgends hängt das Seelische mit dem Körperlichen so innig und dicht zusammen, wie wo es um die Sauberkeit geht. Ein Mensch, dem körperliche Reinlichkeit Lebensbedürfnis ist, wird selten innerlich unsauber sein. Man braucht nicht jeden für einen Schmutzfink zu halten, der sich nicht dreimal täglich die Achselhöhlen mit Eau de Cologne wäscht, aber es gibt ein Minimum von Gewaschenheit, das sich jeder selbst anerziehen muß.
Als unsere Badeanstalt gebaut wurde, verkündeten ihre Befürworter als Hauptzweck die Erziehung zur Sauberkeit.
Sie hat diesen Zweck verfolgt und erfüllt. Die Bevölkerung hatte in immer dichteren Scharen den Weg zu ihr gefunden. Und doch waren die von ihr gebotenen Möglichkeiten noch lange nicht ausgenützt.
Jetzt ist der Fortschritt durch die Preiserhöhung jäh gehemmt. Zum Glück ist der Stadtrat seiner Mehrzahl nach vernünftig genug, daß er das Unheil rechtzeitig einsehen und zweifellos eine Maßregel rückgängig machen wird, die sich nach jeder Richtung hin als verderblich erwiesen hat.