Original

10. Januar 1922

Ein sonderbares Phänomen vollzieht sich zurzeit im deutschen Schrifttum, eine Vergewaltigung der Sprache, wie sie sonst nirgends festzustellen ist.

Das Deutsche ist als lebende Sprache naturgemäß langsamen Wandlungen unterworfen. Altes fällt ab, wenn es altmodisch geworden ist, Neues kristallisiert sich an. Das Werden und Vergehen geschieht allmählich, in allgemeiner Anpassung der Sprache an den quickeren oder schwereren, tieferen oder weiteren Geist der Zeit.

Solche Wandlungen vollzogen sich immer von innen heraus, wie nach einer stillschweigenden Übereinkunft. Worte und Wendungen schliffen sich ab, wie Kurantmünze, glitten von Höhen herunter und stiegen aus Tiefen herauf, bekamen ernste oder komische Bedeutung nach den ungeschriebenen Gesetzen allgemeinen Empfindens.

Es gab auch zu allen Zeiten Schriftsteller, bei denen man von einem persönlichen Stil reden konnte, bei denen Rhythmus und Dynamik der Worte einem inneren Wesenston entsprachen und gehorchten. Wem diese Unterordnung der Sprache unter sein persönliches Tempo noch nicht genügte, erweiterte seine Ausdrucksmöglichkeiten durch Wortneubildungen. Die Franzosen haben auf diese Weise ihren Wortschatz durch die Naturalisterung zahlreicher lateinischer Vokabeln ungeheuer bereichert.

Was heute im deutschen Schrifttum vorgeht, hat mit alledem nichts mehr zu schaffen. Es handelt sich nicht mehr um eine organische Erneuerung der Sprache, um Neues, das sie, vom Geist der Zeit befruchtet aus sich herausgebärt. Es handelt sich um künstlich, unorganisch Angeklebtes, willkürlich Verschobenes.

Es gibt Schriftsteller, die ihre Prosa wie eine Ware auf den Markt bringen. Sie suchen vor allen Dingen nach einer Fabrikmarke. Diese Fabrikmarke ist der persönliche Stil. Nicht mehr der Stil, der ein Widerhall des inneren Wesenstons ist. Das gibt zu sanften und bescheidenen Klang und braucht zu lange Zeit zum Durchdringen. Sondern ein Stil mit Plakatwirkung.

Ich glaube, daß es Maximilian Harden war, der in dieser Richtung Schule gemacht hat. Seine Bewunderer sagen, er habe sich einen eigenen Stil zurecht gemacht, um der Welt zu sagen, was er ihr zu sagen hatte. Sollte es nicht vielmehr so sein, daß ihm vom Theater her die Feierlichkeit des fünffüßigen Jambus im Ohre hing und er den Kothurn nicht missen mochte, weil er sich damit größer vorkam? Die Unnatur dieses Stils wirkt in dem Leitartikelmilieu der „Zukunft“ oft karikaturistisch. Harden hätte bei seiner Begabung für Journalistik auch mit einer durchaus natürlichen Schreibweise sein Glück gemacht.

Auf seinen Einfluß ist es wahrscheinlich zurückzuführen, daß andere sich auf ähnliche Außenwirkungen verlegen. Ich nenne als Beispiele zwei der talentvollsten Modernen: Otto Flake und Carl Sternheim. Sie hätten es wahrhaftig nicht nötig, ihrem Stil durch eine grammatische Verstümmelung oder Verrenkung einen persönlichen Stempel aufzudrücken, etwa wie im amerikanischen Westen die Viehherdenbesitzer jedes Stück durch Brenneisen kenntlich machen. Flake macht sich äußerlich dadurch auffällig, daß er ohne sichtbaren Zweck oft den bestimmten Artikel fortläßt: Himmel flammte, Erde dampfte, Menschen mordeten. Carl Sternheim verrenkt seine Sätze nach folgendem Schema: „Zu Weihnachten bekam von der Herrschaft sie ein leeres Heft“ - „Oft fiel verloren sie in den Sitz“. Aus der Not der poetischen Lizenz macht er eine Tugend der Alltagsprosa.

Eine solche Sprache mutet an, wie ein Körper, dem am Kopf die Nase weggeschnitten ist oder der sich mit dem Fuß, statt der Hand hinterm Ohr kratzt. Dem Wesen des Lateins entsprechen diese Formen, aber dem Deutschen sie aufpfropfen, ist ein undeutsches Unterfangen.

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