Original

14. Januar 1922

Mein Kollege Philinte schildert den trostlosen Eindruck, den ihm drei Minette-Arbeiter vor Ort in ihrer stummen, düstern Art gemacht haben.

Er hat recht. In der Arbeit unter Tag wirken sich alle Schrecken jenes Fluches aus, mit dem die Menschheir aus dem Paradies gejagt wurde - wenn sie jemals darin war. Ich erinnere mich keines niederdrückenderen Anblicks, als dessen, den ich an einem wundervoll sonnigen Märztag von einer Höhe bei Charleroi auf die trübe, schwarze Stadt der Steinkohle hatte. Ringsum war frühlinghafte Verheißung, drunten im Tal wuchtete das dunkle Inferno der Arbeit in ihrer abstoßendsten Form und setzte sich fort bis in den Schoß der Erde, wie eine ekelhafte Milbkrankheit sich tief einfrißt. „Es freue sich wer da atmet im rosigen Licht!“ Diese aber begeben sich müden Schrittes ins Grab, unsicher, ob sie die Sonne wiedersehen werden. Die Hälfte ihrer Tage ist mit Blindheit beschattet. Sie versuchen das Schicksal. Ich hörte immer von einer alten Wartefrau, wir Kinder sollten nicht im Mutwillen die Augen verdrehen und die Glieder verrenken. „Der liebe Herrgott straft euch und läßt sie euch schief stehen.“

Der liebe Herrgott straft zuweilen die Menschheit, die freventlich Begraben spielt, und schüttet die Gräber zu.

Will er sie damit auf einen andern Weg weisen? Bielleicht. Was sind alle Kohlenlager der Welt für die Dauer, die die Menschheit für ihre Existenz beansprucht? Einmal müssen sie sich erschöpfen, und dann ist es, als seien sie nie dagewesen. Sie waren ein Zufall, eine Episode im Leben der Menschheit. Wir sollten uns, den Absichten des Schöpfers entsprechend, auf Hilfsquellen einstellen, die erst mit uns zu Ende gehen, oder die uns gar überdauern werden.

Heute entwürdigen wir Millionen unserer Mitbrüder dazu, ihre Tage im Graus der Gruben hinzuschleppen, damit andere im Lichterglanz sich freuen können. Kohle und Metall, Kraft und Maschinen - daraus sind alle strahlenden Feste der Menschheit gemacht. Der Weg führt aus dem dumpfen Schacht unter den sonnehellen Kronenleuchter. Solange nach Kohlen tief unter Tag gegraben werden muß, ist die Erlösung nicht möglich.

Wir müssen dazu kommen, daß wir wenigstens die Kraft nicht mehr aus den Eingeweiden der Erde, sondern aus der Unendlichkeit des Raumes gewinnen. Wir müssen unsere Maschinen in den ewig kreisenden kosmischen Kraftstrom einschalten.

Wir müssen die Kraft von Ebbe und Flut in unsere Maschinen überleiten.

Ingenieure heraus!

Und wenn dann das Grudensklaventum der Geschichte angehören wird - für die andern, die im Licht des Tages arbeiten, läßt sich Befreiung finden - dann werden wir aufatmen und jubeln, daß wir das Heil nicht dem Politiker, sondern dem Ingenieur verdanken. Der Tat und nicht dem Wort.

Denn die zersetzende entzweiende, unfruchtbarewig verneinende Politik ist zu der ehrlich freudigen Bejahung des Ingenieurs, wie das unfruchtbare Wort zur befruchtenden Tat, wie die blutsaugende, schmarotzende Finanz zur werischaffenden Industrie, wie die braddelnden Pharisäer zu Christus dem Heiland, dem Werktätigen und Wunderwirkenden!

TAGS
  • press - philinte workers social inequality
KatalognummerBW-AK-010-2065