„Hören Sie,“ sagte der Herr vorwurfsvoll und faßte mich beim obersten Rockknopf, „wenn man der Purist sein will, als den Sie sich in Ihrer Zeitung aufzuspielen pflegen, dann vermeidet man Schonheitsfehler, wie sie sich tagtäglich in Ihrem Blatt finden.“
„Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel sprechen Sie immer nur von den elfässischen Députés.“
„Na, und?“
„Die Leute heißen auf deutsch Abgeordnete und nicht Députés.“
Das klang ja nun ganz plausibel, und ich gebe zu, daß man sehr wohl, ohne gegen den heiligen Geist der Nüancen zu sündigen, von der französischen Kammer der Abgeordneten sprechen darf. Aber ein Straßburger Député, das ist nicht ein Abgeordneter. Der ist ganz was für sich. Der ist eben ein Député. Sobald Sie das übersetzen, zerfällt der Député und an seine Stelle tritt etwas, was in Wirklichkeit nicht existiert. Es ist genau, als ob Sie eine luxemburger Zoßiß mit Wurst verdeutschen wollten. Sie ist keine Wurst, sie ist nicht einmal eine Saueisse, sie ist eine Zoßiß! Und ein Député ist ein Député und kein Abgeordneter!
Der Herr lächelte überlegen und blieb dabei, wenn man deutsch schreibe, solle man eben deutsch schreiben.
„Gut,“ sagte ich, „Sie heißen meinetwegen Müller. Jean oder Jean Pierre Müller, Jacques Müller, Henri Müller. Sie machen Geschäfte sagen wir mal nach Trier. Lassen Sie sich für Ihre Trierer Geschäftsfreunde Visitkarten drucken mit Johannes oder Johann Peter oder Jakob oder Heinrich Müller? Lassen Sie sich von ihnen anreden: Lieber Jakob, oder lieber Heinrich, oder lieber Johann Peter, wollen wir nicht noch eine Flasche trinken zu 170 Mark! Oder sagen sie nicht vielmehr: Lieber Schacques, lieber Schangpier, lieber Hangri! Können Sie sich vorstellen, daß in Luxemburg jemand von einem Herrn Heinrich Vannerus sprechen würde, um ein allgemein ohrenfälliges Beispiel anzuführen! Oder würde es Ihnen unser kleiner Prinz Jean nicht schon in der Wiege krumm nehmen, wenn Sie ihn Prinz Johannes nennen wollten!“
„Ja, wir leben doch auch nicht in Deutschland!“
„So! Und die Straßburger? Glauben Sie nicht, daß die Straßburger grade vielleicht in dem Gefühl, nicht zu Deutschland zu gehören, Député statt Abgeordneter sagen? Weil ein französischer Député etwas anders ist, als ein deutscher Abgeordneter?“
„Ja, wenn Sie es so auffassen!“
„So und nicht anders muß man es auffassen. Haben Sie noch nicht gemerkt, wie man sich in Luxemburg dagegen sträubt, das deutsche Wort Frau statt madame zu gebrauchen? Sie finden z. B. nie, daß in einem Nachruf die Rede von einer Frau Soundso geht, immer heißt es „die wohlachtbare Dame“. Man hat sich eben noch nicht dazu durchgerungen, in der Frau etwas Wertvolleres zu erblicken, als in der Dame. Womit ich natürlich nicht sagen will, daß ein Johannes etwas Wertvolleres wäre, als ein Jean.“
Wir werden es also vorläufig beim Député lassen. Und da wir in Luxemburg weder deutsch noch französisch sind, sagen wir weder Député noch Abgeordneter, sondern „Deputierter“.