Original

21. Januar 1922

Ich blieb am Schaufenster bei Wierschem stehen. Das Bild von Michel Engels ließ mich nicht vorbei. Es ist eine Ansicht aus dem Innern von Rollingergrund in Wasserfarben. So malt heute niemand mehr. Es ist die Manier, in der die Bilder für den Anschauungsunterricht hergestellt werden. Dies ist ein Haus, dies ist ein Baumstamm, dies ist ein Wagen mit Pferd, dies ist ein Hahn und eine Henne, dort hinten, das ist die Kirche, und hier vorne steht der Schmied. Der erste beste Kunstjüngling sagt heute: Das ist nicht gemalt!

Ja freilich ist das nicht gemalt. Aber der Engelße Misch war ja auch kein Maler, er war ein Erzähler, ein Schilderer. Sein Pinsel und sein Stift mußten immer anfangen: Es war einmal.

Also: Es war einmal ein Rollingergrund, darin war ich, der Michel Engels, zuhaus. Unser Haus stand an der Wegebiegung, Ihr wißt ja, wo gegenüber die Felsecke weggesprengt ist, als der Charly gebaut wurde. Ich will Euch zeigen, wie es im Rollingergrund aussteht. Wenn Ihr ein wenig weiter hinuntergeht, so seht Ihr oben links den Kirchturm emporragen. Die Stelle will ich Euch malen. Ihr seht die Häuser mit allen Fenstern, Ihr seht den Hahn und seinen roten Kamm, Ihr seht den Schmied und den Fuhrmann und Ihr könnt alle Häuser mit Namen nennen. Ich habe die Leute gekannt, die darin wohnten, ich könnte Euch über jeden eine Geschichte erzählen.

So malte Michel Engels. Er wollte erzählen. Er hat Tage aus seinem Knabenleben erzählt, wo die Preußen in Schützenketten beim Manöver durch die Kartoffeläcker und über die Straße in Rollingergrund schwärmten, er hat uns die ganze Geschichte unserer Festungszeit in Bildern erzählt, er hat erzählt, wie die Muttergottesprozession durch die Straßen zog, er hat sogar Schlachten erzählt, die er nie gesehen hat, aus lauter Lust daran, Pferde zu erzahlen, die die vier Hufe in die Luft recken, und Soldaten, die im Taumeln Helm und Gewehr verlieren. Er hatte das heilige Feuer der Schilderungslust, und seine ersten Kindheitseindrücke hatten ihr einen starken Zug ins Kriegerische gegeben.

Je mehr seine Figur von uns fort gleitet in die Vergangenheit, desto inniger werden wir uns seiner starken Eigenart bewußt.

Nach den längst Verschwundenen, den Fresez, Liez. Sinner u. a. m. war er der erste „Maler“, der wieder durch die Straßen Luxemburgs ging. Die Leute dachten direkt an Raphael, wenn sie davon hörten, daß Luxemburg einen Maler in seinen Mauern barg. Am Athenäum brauchten sie einen Zeichnenlehrer, und Michel Engels mußte als blutjunger Kunstakademiker in München sein Zelt abbrechen und sich hier festlegen. Er brachte von München eine unbändige Begeisterung, einen goldigen Humor, einen Stammhumpen und eine mangelhafte, kaum begonnene technische Ausbildung mit. Er war, wie einer, der noch nicht richtig die Fiedel streichen gelernt hat, aber recht und schlecht schon seine Lieblingsweisen ihr entlockt. Der Wille zur Kunst ging mit ihm anhaltend durch und war dem Können weit voraus. Und Pinsel und Stift genügten nicht, auch die Feder nahm Engels zu Hilfe, um zu erzählen und zu schildern. Man könnte so viel über ihn sagen, jetzt, wo er seit zwanzig Jahren tot ist. Aber es wäre nichts davon so schön, als daß er ein treuer, ehrlicher und kindlich aufrichtiger Kerl war, in seiner Kunst und in seinem Leben.

So sieht sein Bild bei Wierschem aus.

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KatalognummerBW-AK-010-2071