Eine Unbekannte schreibt mir:
„Es ist schon lange her, ich war noch sehr jung damals, aber das Erlebnis, von dem ich sprechen will, steht lebendig vor mir, als wäre es gestern geschehen.
Ich lebte zum erstenmal in einer fremden Stadt, dazu des Auslandes, in vollkommener Einsamkeit. Diese Einsamkeit war für mich nicht Notwendigkeit, sie war nicht selbstgewählt, ich hatte einfach keinen Menschen finden können, der zu mir gepaßt hätte. Und doch hätte ich oft einen nötig gehabt und sehnte mich nach einem. Da lernte ich ein junges Mädchen kennen, das ich vom ersten Sehen an gern hatte, denn es glich meinem kleinen Schwesterchen daheim. Ein Menschenkenner war ich nicht, wie sollte ich auch? Und so kamen mir seine Blicke treu vor, alle seine Worte nahm ich für wahrhaft hin und schenkte ihm Vertrauen. Bis mir der Zufall einen Streich spielte, den ich verwünsche, so oft ich daran denke: ein Brief kam in meine Hände, in dem das junge Mädchen ein landlänfiges Schimpfwort gebrauchte, das sich auf mein Volk bezog, und es konnte kein Zweifel bestehen, ich war damit gemeint. Zuerst war ich erschrocken, dann tief traurig und konnte aus meinem Schmerz keinen Hehl machen. Ich erzählte dem jungen Mädchen alles. Es war betroffen, und statt, daß es mich tröstete, mußte ich ihm beistehen in seiner Verwirrung. Als wir beide ruhiger waren, sagte das Mädchen mir: „Nimm mir den Ausdruck nicht übel, es ist nicht schlimm gemeint, ich habe nichts dabei gedacht. Wir sprechen zuhause immer so, mein Vater haßt euer Volk, und er lehrte uns, es auch zu tun. Gegen dich habe ich nichts, im Gegenteil, ich schätze dich.“ Wie ich auffuhr, bei dem „ich denke nichts dabei“! Ja, warum denkst du denn nichts dabei, wenn du anderen weh tust, warum übernimmst du deine Begriffe fertig von anderen, ohne Überlegung? Du bist doch keine Maschine, kein Papagei, der nachplappert. Du bist ein Mensch und nennst dich stolz „deukend“. Du sagst diese Fähigkeit zeichne dich aus vor deinen Mitgeschöpfen! Also mach ihr Ehre!
Welches Unheil aber das junge Mädchen in seinem Unverstand angerichtet, dessen war es sich nicht bewußt. Es hat in meinem Innern ein zartes Lebewesen vernichtet: mein Vertrauen zu den Menschen. Ich bin mißtranisch geworden und glaube nicht mehr an die Menschen und - meine Einsamkeit ist selbstgewählt.
Ich will keine Nutzanwendung aus diesem Erlebnis ziehen, denn Moralisieren liegt mir nicht. Wenn es aber dennoch einen Menschen zum Nachdenken brächte .....!“
Die Unbekannte hat Unrecht. Kraftausdrücke verlieren auf die Dauer vollständig ihren Sinn. Wenn einer nom de Dieu flucht, denkt er nicht im entferntesten an den Namen Gottes. Er setzt seine Zunge in Bewegung, wie er eine Suppenterrine kaput schmeißen würde: damit ein Spasmus sich spannt und sich löst.
Das ist also nicht schlimm. Aber schlimm ist es, daß umgekehrt auch die heiligsten und zärtlichsten Eide im Munde derer, die sie schwören, zuletzt keinen Sinn mehr haben. Ich kann im Zorn jemand Hund schimpfen und mir nichts dergleichen dabei denken. Wenn aber Tausende alltäglich sagen: Ich liebe dich! und die Worte sind ihnen nicht Gefühle, sondern nur Gewohnheit, so versündigen sie sich schlimmer, als die jähzornigen Flucher. Denn du sollst den Namen Gottes deines Herrn nicht vergeblich führen!