Original

24. Januar 1922

„Aha!“ dachte ich. „Das Mädchen zieht die Rollläden hoch! ’n bischen früh!“

Der Morgendämmer drang schwach durch die Vorhänge herein. Ein paar Augen voll des gesunden Morgenschlafs konnte man noch vertragen. Dieser patriotische Fackelzug gestern abend hatte allerlei im Gefolge gehabt .............

„Aha!“ dachte ich. „Das Mädchen hat Schwierigkeiten mit dem Rolladen.“ Auf das erste Rumpeln war nach einer Pause, die ich nicht abschätzen konnte, ein zweites gefolgt: Pumperumpumpullerulleruh!

Dann wurde es still.

„Sehen Sie,“ sagte ich zu meiner Nachbarin, „wie schön mein junger Freund zu den Klängen des Forget me not! tanzt. Wie auf Gummi. Ist es nicht, als stünde er mit seiner Tänzerin in einer Gondet, die vom Atmen des Meeres zum Takt der Musik gehoben und gesenkt wird. Wissen Sie ....“

In diesem Augenblick flog mein junger Freund mit seiner Tänzerin in einem furchtbaren Krach gen Himmel. Ich war erwacht, und zum dritten Mal hörte ich das Mädchen mit dem Rolladen kämpfen.

Schon wollte ich mich erheben und nach dem Rechten sehen - ich drückte mich selbstverständlich noch ein Weilchen in den warmen Tüchern - da kullerte es wiederum los, als ob die Natur Mondorfer Wasser getrunken hätte. Wieder fuhr ich aufgeschreckt in die Höhe, den Nachhall des Gepolters in den Ohren, als mir zum Bewußtsein kam, daß der vermeintliche Rollladen die Kanone war, mit der sie den Geburtstag der Landesfürstin anschossen.

Ich möchte diese Kanonade einmal aus der Nähe mit ansehen. Für dies Jahr ist es zu spät. Nächstes Jahr erhebe ich mich ganz sicher bei Tagesgrauen und suche die Stätte auf, von der mit Geschützdonner dem Lande verkündigt wird, daß seine Großherzogin ein Jahr älter geworden ist.

Haben sie noch die drei alten Kanonen, von denen die eine geborsten und die andere eingerostet ist? Oder werden für diese Gelegenheit von einer befreundeten Macht ein paar Schnellfeuergeschütze ausgeborgt?

Dies Salutschießen ist eine altehrwürdige Einrichtung. Die Menschen haben von jeher, wenn sie einen Grund zur Freude hatten, dies durch Lärmmachen an den Tag gelegt. Die fortschreitende Zivikisation hat diesen Drang in Grenzen eingedämmt, damit dadurch Unbeteiligte nicht belästigt werden. So wurde der Begriff „Nachtlärm“ geschaffen und zu gewissen gerichtlichen Ahndungen in Wechselbeziehung gebracht.

Darüber, was man unter Lärm zu verstehen hat, ist jedermann einig. Über die Auslegung des Begriffes „Nacht“ hingegen schweben schwere Kontroversen. Man erzählt von einem früheren luxemburgischen Minister, der alte Großherzog Adolph habe ihn einmal um zehn Uhr vormittags in seinem Büro besuchen wollen. Als der Bürodiener ihm die Königliche Hoheit in seine Privatwohnung meldete, soll der Herr Minister geknurrt haben: Was, kommt der alte Herr nun schon nachts in die Regierung!

Um sieben Uhr früh wäre es also noch viel mehr nachts gewesen, und wenn jener Minister in der Nähe der Geburtstagsschießstätte gewohnt hätte, so hätte er ganz sicher etwas von Nachtslärm in seinen mächtigen Schnurrbart gebrummt.

Und so möchte ich denn, im Interesse der Umwohner - ich wohne zum Glück ziemlich weit ab - die Frage aufwerfen, ob es der patriotischen Bedeutung des Salutschießens einen Eintrag täte, wenn es um eine oder zwei Stunden später gelegt würde.

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