Original

25. Januar 1922

Im Bericht über das Diplomatendiner des Herrn Staatsministers Reuter war dies Fest mit denen, die unter Paul Eyschen stattfanden, in Vergleich gestellt.

Das lockt zu weiterer Parallelisierung zwischen den Aufgaben, die beiden Staatsmännern aus der Zeit erwuchsen.

Herr Reuter ist im Fall des Steuermanns, der nach dem Sturm, oder jedenfalls nachdem die Heftigkeit des Orkans gebrochen ist, sein Schifflein in ruhiges Wasser lenken soll. Aber er hat klare Wirklichkeiten hinter und vor sich.

Paul Eyschen glich immer, und zumal in den letzten Jahren, dem Mann am Steuer, der das Unwetter aufziehen sieht und nicht weiß, ob die Wellenberge sein Schifflein begraben oder auf ihrem Rücken tragen werden, bis sich der Sturm legt. Der Krieg stand immer vor ihm wie ein Unheimliches, das sich langsam aber sicher auf uns zuschob. Ihm war die Zukunft ein beängstigendes Bild von Saïs, für seinen Nachfolger von heute ist jene unheilschwangere Zukunft geklärte Vergangenheit. Ihre Geheimnisse sind ihm entschleiert, er sieht die Welt von der andern Seite der Gewitterwollenwand.

Es ist unendlich zu bedauern, daß Paul Eyschen keine Memoiren hinterlassen hat. Vielleicht hätte er sie geschrieben oder diktiert, wenn er dazu in der heitern Atmosphäre eines klaren Lebensabends Muße und Stimmung gefunden hätte. Aber er war verbittert; und nicht ohne Grund. Er war ein wenig Bismarck im Sachsenwald. Er sah seine altbewährte politische Klugheit vielfach von denen in den Wind geschlagen, für die er in den letzten Jahren sich restlos eingesetzt hatte, in der Überzeugung, damit dem Wohl des Landes zu dienen. Er mochte fühlen, daß das Land infolge der Mißachtung seiner Natschläge der Zerrissenheit entgegentrieb, er merkte, wie ihm die liebgewordene und - zu seiner Ehre sei es gesagt - nie mißbrauchte Macht entglitt und wie Intrige und jugendlicher Dilettantismus, um keine schärferen Ausdrücke zu gebrauchen, auf das öffentliche Wohl losgelassen waren. Er arbeitete nur noch, wie das treue Pferd, das in den Sielen stirbt, er wollte nicht in Mißmut und Enttäuschung von seinem Posten desertieren. Aber Lust und Liebe fehlten, und ich weiß, daß er eines Tages auf die Anregung, seine Memoiren zu schreiben, mit bitterm Sarkasmus geantwortet hat: Mein Lieber, ich schreibe noch zu viel für das, was man mir bezahlt! Er meinte natürlich nicht sein Gehalt, obgleich sogar das - und es war damals skandalös geringfügig - ihm zuweilen in der Kammer vorgeworfen wurde, er spielte auf seine Kaltstellung als erster Ratgeber der Krone an. Und auch er erfuhr das grausame Geschick, daß er am Ende eines verdienstvollen und arbeits- reichen Lebens unbedankt und klanglos zum Orkus stieg.

Hätte er uns Lebenserinnerungen vermacht, so würden wir nicht ohne Bewegung und manchmal Erschütterung lesen, wie seine Nächte schon lang vor 1914 durch das Kriegsgespenst gestört waren. Ich erinnere mich, wie ihn die Einrichtung des Lagers von Elsenborn als etwas unerhört Aufregendes aus der Fassung brachte, wie er darin eine der letzten Etappen vor dem Krieg erblickte, wie er das ganze Eisenbahnsystem dort herum abfuhr und mutlos, niedergeschlagen heimkam, überzeugt, daß der Krieg, der ungeheuerlichste der Geschichte, vor der Türe stand, daß wir ohnmächtig zusehen mußten, wie die Gefahr ironisch grinsend auf unsere Heimat zuglitt.

Die höchste Tragik seines Schicksals ist, daß er versank zu einer Zeit, wo er noch an den Sieg der deutschen Waffen und damit an das Ende unserer Unabhängigkeit glauben mußte.

Er hätte wahrhaftig verdient, daß er die Befreiung mit erlebt hätte.

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