Original

26. Januar 1922

August Donnen war schon als Knabe sehr geweckt. Von einem geweckten August Donnen kann man eigentlich aber erst seit ein paar Tagen reden, seit er nämlich im Weckapparat der Töne, im Grammophon, für alle Zeiten konserviert ist.

Auf Veranlassung einer unternehmenden Firma hat er kürzlich in einer großen Fabrik des Auslands seine Schlager in den Trichter gesungen, und nun sind die ersten Platten eingetroffen.

Ich war dabei, wie ein liebenswürdiger Musikalienhändler eine davon auf einem erstklassigen Grammophon Probe laufen ließ, den „Champignon vun der Box“, und die Porträtähnlichkeit von Stimme und Vortrag war so unheimlich, daß man nach der letzten Note erwartete, der August werde nun in Person aus dem Kasten herausklettern und sich verbeugen.

Dann kam ein Caruso dran, und wirklich, man konnte „seines Odems einen Hauch verspüren“. Diese vervollkommneten Apparate geben tatsächlich eine Vorstellung von dem Wohllaut und der elementaren Wucht dieser einzigartigen Stimme, die wie ein wunderbares Naturereignis war in ihrer Seltenheit und Vollkommenheit. Millionen haben Caruso nie gehört. Ich gehörte bis vorgestern abend zu ihnen. Und ich sage: Besser den Caruso im Grammophon hören, als gar nicht, besser Spargel aus dem Weck, als gar keine.

Ich bin also zum Grammophon bekehrt, ich bin mit ihm ausgesöhnt. Es war mir immer schrecklich. Es gab jedem Banausen die Möglichkeit, eine herrliche Sommernacht mit seinen musikalischen Liebhabereien zu verhunzen. Er öffnete seine Fenster weit und legte eine Schmachtarie auf, die ein stimm begabter Anstreicher- oder Klempnergesell für billiges Geld auf die Platte gesungen hatte. Und das gewaltige Näseln mit gelispeltem s klang über Berg und Tal, und wenn Dir grade die ersten Takte der Mondscheinsonate durch die Erinnerung gingen, fuhr es plötzlich drein: Ne parle pas, Rose jo t’en supplie! Oder noch schlimmer. Und öfter falsch, als richtig.

Ich war aus einem andern Grunde dem Grammo- phon gram. (Ohne schlechtes Wortspiel, bitte!) Ich war ihm einmal auf den Leim gegangen. Es war vor Jahren, bei Freunden in den französischen Ardennen, am Abend eines mardi gras. Das Grammophon war noch nicht als Massenartikel in die Provinz vorgedrungen, wir kannten es hier kaum dem Namen nach. Beim Dessert sagte der Hausherr, die Arbeiter seiner Fabrik seien mit ihrer Musik draußen und wollten der Gesellschaft ein Ständchen bringen, und sogleich schmetterte ein Militärmarsch durch die Räume. Man klatschte wütend Beifall und ich erbot mich, den wackern Leuten draußen den Dank der Festversammlung auszusprechen. Sie ließen mich hinausgehen, aus allen Fenstern und Türen in die finstre Nacht spähen, ich entdeckte keine Musik, aber als ich wieder hineinkam, hatten sie den Kasten auf dem Tisch stehen und er spielte grade: Au clair de la lune Mon ami Pierrot ......

Ich soll dazu kein besonders gescheites Gesicht gemacht haben, und sie äußerten beleidigende Zweifel an meiner Behauptung, ich sei nur scheinbar auf den Leim gegangen, um ihnen einen Karnevalsspaß zu bereiten.

Wenn Sie jemand so schändlich zum besten gehabt hat, tragen Sie es ihm nach. Heute verzeihe ich dem Grammophon seine Frozzelei von damals. Es bedeutet schließlich ein Stück Unsterblichkeit - allerdings nur für die andern, die am Leben blieben - also eine Unsterblichkeit sozusagen zu 50 Prozent. Und es ist eine demokratische Erfindung, die in ihrer letzten Vervollkommnung den Massen Genüsse ermöglicht, die sonst nur einer kleinen Minderheit zugänglich waren.

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KatalognummerBW-AK-010-2075