Der Rodel beherrscht den Tag und darüber hinaus einen Teil der Nacht. Ich habe Rodler um Mitternacht heimkommen sehen, und sie hatten immer noch nicht genug. Sie packten mehrere junge Damen auf ihren Davoser und durchtobten die Stadt, in der offenbaren Absicht, mit mehreren Hals- und Beinbrüchen abzuschließen. Aber es gibt einen Gott für die Rodler, wie für die Trunkenbolde.
Übrigens, Rodeln berauscht. Von keinem andern Sport sagt die junge Frau, die ich meine, so begeistert, wie vom Rodeln: «Në, wat Frëd!»
Wenn sie das sagt, sieht man förmlich, wie ihr der Wind um die Backen pfeift, ihr die Haare wie mit Kämmen zurückstrählt, wie ihr das Herz hüpft und wie ihr das Blut durch die Adern gluckst. Die tote Landschaft wird ihr lebendig, fliegt, saust, schießt Koboltz, und die kleine Frau wirst sich bacchantisch der Natur an den Busen.
Nie fühlst Du so unmittelbar eine kosmische Kraft an Dir lebendig werden, als wenn es Dich so blitzgeschwind in die Tiese zieht. Aus der Schwere, die Dich an die Erde fesselt, die Dich niederdrückt, die Dir Blei in die Flügel gießt, wird auf einmal ein Hingerissensein, ein Fliegen, eine Unbeschwertheit, eine ungeheure Steigerung des Lebensbewußtseins. Du fühlst Dich als Atom, das dem Mittelpunkt aller Kraft zufliegt, dem die Unendlichkeit des Raums zuruft: Her zu mir! und das sich willenlos und jauchzend in ihren Schoß fliegen läßt.
Eigentlich ist Nodeln die eleganteste Art, aus der Not eine Tugend zu machen. Not ist z. B., wenn man beim Bergabsteigen auf glatter Schneebahn ausgleitet und ohne es zu wollen auf dem Hosenboden den Abhang hinuntersaust. Tugend ist, wenn man zwischen Erd- und Hosenboden ein schlittenförmiges Gestell aus Eschenholzstäben einschaltet.
Das beste Altersbarometer ist der Rodel.
Prüfe Dich daraufhin, ob Du noch Lust hast, Deinen Rodeldackel am Seil den Berg hinaufzuziehen, Dich oben am Start hinzuhocken, Dich in Schuß zu strampeln, Dich mit Hochgenuß bergab sausen zu lassen, aufzustehen, wiederum Deinen Rodel den Berg hinauf zu ziehen, wieder abzufahren, nochmal hinaufzukraxeln, nochmal herunterzuschießen, neuerdings den Aufstieg und die Abfahrt zu unternehmen, immer wieder, immer wieder, bis es so dunkel ist, daß man die Landschaft nicht mehr vorbeifliegen sieht.
Verspürst Du dazu noch Lust, so bist Du zwanzig, trotz Deinem eventuellen Rheuma und grauen Haar.
Zuckst Du aber darüber die Schultern, so bist Du mindestens sechzig, trotzdem Deine Wiege diesseits der letzten Jahrhundertwende stand.