Original

29. Januar 1922

Sehr geehrtes, nicht immer gnädiges Fräulein!

Ich kenne Sie mit Wissen nicht persönlich. Aber ich stelle Sie mir reizend vor. Jedesmal wenn ich an einer hübschen jungen Dame vorbeigehe - seine Knöchel, pralle Strümpfe, eleganter Valutamantel - stelle ich mir vor, Sie sind es.

Ich schicke dies voraus, damit Sie nicht denken, ich halte Sie für eine Vogelscheuche und möchte Ihnen deshalb ungalant kommen. Aber ich muß mich mit Ihnen auseinandersetzen.

Sie sind Telephondame, ich bin Teilnehmer. Wir stehen also zu einander in einem ziemlich engen Verhältnis. Durch den elektrischen Strom werden Ihre Lippen bei jedem Anruf auf Zollweite an meine linke Ohrmuschel herangezaubert. Aber dazwischen liegt der feindselige Raum, wie die Zigarre zwischen dem glühenden Ende und dem Mund des Rauchers.

Ich ziehe, und Sie glühen. Mißverstehen Sie mich nicht. Ich meine bloß, wenn ich an meinem Ende der Quasselstrippe mich ärgere, so werden Sie - sagen wir einmal, nervös. Das meine ich mit dem Glühen. Das äußert sich dadurch, daß Sie schnippisch, kurz angebunden werden und einfach einhängen. Dann steht man an dem unseligen Kurbelkasten und weiß nicht wohin mit seinen Gefühlen.

Ich versichere Ihnen, mein verehrtes und manchmal sehr ungnädiges Fräulein, ich habe Sie schon oft dahin gewünscht, wo der Pfeffer wächst. Ich denke mir, daß das eine wundervolle Gegend ist, wo das ganze Jahr die Sonne scheint, wo man im leichtesten Kostüm von früh bis spät unter Palmen wandelt und wo es keine Telegraphendrähte gibt, wo sich nur die märchenhaften Lianen von Baum zu Baum schlingen, damit sich die zierlichen Äffchen darauf schaukeln können. Sonst hätte ich Sie nicht dahin gewünscht.

Ich meinerseits erfülle stets gewissenhaft meine Pflichten als Teilnehmer. Ich bezahle, wenn auch ungern, die Summen, die mir das Amt periodisch ankreidet, ich halte mir stets vor Augen, daß mehrmaliges schnelles Drehen an der Induktorkurbel zu Beschädigungen der Beamten und Ersatzansprüchen führen kann, ich warte immer die vorgeschriebene halbe Minute, ehe ich nach Lösung einer Verbindung eine andere verlange, ich halte stets den Fernhörer am Ohr, wenn der Teilnehmer B wegen einer Auskunft gezwungen ist, den Fernsprechapparat zeitweise zu verlassen, ich enthalte mich sämtlicher Handlungen, die im Telephonbuch als unstatthaft bezeichnet sind, und von den mir zustehenden drei Minuten Sprechzeit nutze ich jedesmal höchstens eine halbe aus.

Sie aber, mein verehrtes, ungnädiges, aber reizendes Fräulein, pfeifen des öftern auf die Vorschriften, die Ihre Verwaltung unter „Anweisung zur Benutzung der Fernsprechanschlüsse“ erlassen hat. Wenn ich beim Anruf die Induktorkurbel einmal langsam herumdrehe, melden Sie sich mit nichten. Ich will nicht behaupten, daß Sie sich dabei etwas Respektloses denken, ich stelle nur fest. Wenn ich ferner die Induktorkurbel am Ohr halte, während B nach einer Auskunft geht, trennen Sie uns parzenhaft unerbittlich, und wir können sehen, wie wir wieder zusammen kommen. Wenn B bei mir anruft und ich außer Atem durch ein paar Zimmer an den Apparat stürze, tönt mir schon wieder Ihre sympathische Stimme mit „Hier Amt!“ ins Ohr. Sage ich dann, ich sei vor einer halben Minute angerufen worden, so sagen Sie seelenruhig: „Das weiß ich nicht mehr, die werden schon wiederkommen.“

Es kommt vor, daß ich jemand im Telephon z. B. eine Adresse mitteilen oder einen Zug angeben will. Falls andere Gesprächsanträge vorliegen, hat das Amt das Recht (also nicht die Pflicht) nach Ablauf von drei Minuten und nach vorhergegangener Benachrichtigung der Teilnehmer die Verbindung zu trennen.

Sie haben natürlich keine Stop-Uhr neben sich liegen, Sie schätzen die drei Minuten einfach ab. Da geschieht es denn, daß Sie einem ohne weiteres die Puste mitten im Satz schon nach der ersten Minute abschneiden, ein andermal ist es nicht möglich, auch nach fünf Minuten von der alten Verbindung loszukommen.

Dies alles wollte ich Ihnen schreiben, damit Sie sehen, wie sich die Welt der Telephonabonnenten für Sie interessiert.

Grüßen Sie mir bitte Ihre Kolleginnen und Ihren Herrn Bürovorsteher.

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    KatalognummerBW-AK-010-2078