Die Wohltätigkeitswoge für die russischen Kinder ist am Abschwellen. Wohltätigkeit ist Sache der Mode, grade so gut wie eine Hutform. Wenn sie lange genug getragen wurde, muß sie anderen Platz machen.
Dennoch stoße ich noch einmal für die russischen Kinder ins Horn. Heute, Sonntag, nachmittag halb drei Uhr spielt die Militärkapelle unter Fernand Mertens, den die Hauptstadt Belgiens seit vierzehn Tagen als Komponisten feiert, ein Symphoniekonzert zugunsten der russischen Kinder.
Dieses Konzert wird das Besondere haben, daß es etwas Allgemeines werden soll. Es ist der Typ Konzert, den die Militärkapelle früher, vor Jahren - wie lang ist’s her! - jeden Sonntag Nachmittag spielte, und zu dessen Wiedereinführung der Hebel angesetzt ist.
Es gibt heute Luxemburger, junge Luxemburger, die diese Konzerte nicht miterlebt haben. Ich rate ihnen, wenn sie Sinn für gute, volkstümliche Musik haben, heute nachmittag im Metropole nicht zu fehlen.
Sie werden ein Bierkonzert hören. Bitte, nicht laut aufschreien vor Entrüstung. Bier steht hier für etwas Besonderes: Für die Sonntagnachmittagsbehaglichkeit, auf die jeder arbeitende Mensch nach einer san Woche Anspruch hat. In dieser Stimmung hört er ein wirklich gutes, ein vortreffliches Orchester vortreffliche, nicht verschrobene und verstiegene Musik machen, und er braucht dabei die Nebengenüsse nicht zu entbehren, die er gewöhnt ist, wie Öl seinem Organismus zuzuführen.
Das Bier zieht das Konzert nicht herunter, aber das Konzert zieht das Bier hinauf.
Da neuerdings so viel von der Reform der Militärmusik die Rede geht, so wiederhole ich einen früher hier gemachten Vorschlag: Um dem vorzubeugen, daß an der Kapelle stets herumgenörgelt wird, weil sie nur für die Stadt Luxemburg da sei, sollte die Stadt einen jährlichen Zuschuß geben. Und damit dann die andern Städte draußen nicht um den Genuß gebracht werden, auch von Zeit zu Zeit ein Militärkonzert zu hören, sollen auch sie sich zu regel- mäßigen Zuschüssen entschließen. Wenn Luxemburg, Esch, Differdingen, Rümelingen, Düdelingen, Diekirch, Grevenmacher, Remich, Wiltz usw. alljährlich nur je ein paar Tausender zuschießen, so wird es möglich, die Mitglieder der Militärkapelle so zu bezahlen, daß sie nicht mehr alle Tanzlokale nach Nebenverdienst abgrasen müssen. Sie sehen ihre Stellung gehoben und in Verhältnis zu ihrem Beruf gebracht. Und was sonst in Stadt und Land mit Fiedel und Horn Bescheid weiß, wird sich freuen, auf den Tanzböden die Konkurrenz der Militärmusiker los zu sein.
Und dann wird das Publikum den schönen Symphoniekonzerten der Militärkapelle lauschen können, ohne sich Gewissensbisse darüber machen zu müssen, daß die da oben, die ihm so lustig aufspielen, über dem Spiel sich Sorgen machen müssen, wie sie die Enden zusammenbringen.
Ein trauriger Musikant ist etwas, das in einem zivilisierten Land nicht vorkommen dürfte.