Original

17. Februar 1922

Der Präsident des Escher Volksbildungsvereins schreibt mir:

„Auf Veranlassung des Escher VolksbildungsVereins wird das Frankfurter Künstlertheater am kommenden Samstag und Sonntag im «NouveautéPalace» folgende „Deutsche Schwänke aus drei Jahrhunderten“ aufführen: 1. Der fahrend Schüler im Paradeis, von Hans Sachs. 2. Der Nachtwächter, Posse in Versen von Th. Körner. 3. Brautschau, Bauernschwank von Ludwig Thoma.

Dieses ambulante Künstlertheater steht im Dienste des Rhein-Mainischen Volks-Bildungs-Vereins und trägt bildende, unverfälschte Kunst in die RheinMain-Städte, welche kein festes Stadttheater besitzen. In einem Möbelwagen führt es die von Künstlerhand ausgeführte Bühnenausstattung mit sich. Bevor die Künstler eine Tournee mit einem neuen Stück antreten, spielen sie dasselbe vor den Vertretern der Franksurter Presse.

Der Escher Volksbildungs-Verein will sich dieser idealen Einrichtung anschließen und im Jahre mehrere Vorstellungen geben. Das Unternehmen scheint insofern gewagt, weil unter dem Einfluß des Krieges, bei verschiedenen Leuten, das deutsche Wesen arg in Mißtredit geraten ist. Ja, solche Heißsporne machen sogar keine Ausnahme mit Kunst und Wissenschaft.

Um dieser Voreingenommenheit etwas zu begegnen, nehmen Sie bitte an einem der kommenden Tage Stellung dazu. Als Entgelt kann ich Ihnen leider nur das Verdienst der Uneigennützigkeit im Interesse einer guten Sache bieten.“

Wir haben allerdings nicht zu den kriegführenden Ländern gehört, aber Deutschland hat 1914 unsere Wehrlosigkeit mißbraucht, um uns das anzutun, wogegen sich die andern bis in den Tod gewehrt haben. Das ist hier unvergessen, und wir haben keinen Grund, gewissen Strebungen in Deutschland vertrauensvoller gegenüber zu stehen, als die Länder der Entente. Wenn man, wie wir, erlebt hat, daß Leute, die Jahrzehnte lang bei uns das Gastrecht genossen hatten, den hereinbrechenden fremden Truppen hier als Wegweiser dienten, wenn man gesehen hat, wie andre sich unter uns als Spione auftaten und andre den Mund so voll nahmen, daß sie sich später, bei der Wendung der Dinge, in ein Mauseloch verkriechen mußten, dann ist man zu übertriebener Gegenliebe für Annäherungsversuche von drüben nicht geneigt.

Indes, für Kunst und Wissenschaft sollte man wirklich eine Ausnahme machen, trotzdem man sich schwer vorstellen kann, daß eine französische oder belgische Wandertruppe sich heute z. B. bis Frankfurt oder sonst eine Stadt im unbesetzten Gebiet wagen dürfte.

Ich mache für jene Ausnahme einen Grund geltend, der mir triftig scheint.

Die Vertreter von Kunst und Wissenschaft gehören in Deutschland heute zu den Klassen, die am härtesten unter den Folgen des Krieges zu leiden haben und dabei am klarsten einsehen, wem sie ihr Elend verdanken. Sie müssen demnach die aufrichtigsten Anhänger des neuen Regimes sein, insofern es aufrichtig darnach trachtet, Deutschland wieder in die europäische Völkerkameradschaft einzuschalten. Das macht sie zu Gegnern aller Richtungen, deren Zusammenwirken uns als die deutsche Gefahr der Zukunft erscheint. Wir lehnen hier nicht das Deutsche ab, aber die Deutschen, die uns und andre schlucken wollten und schlucken würden, wenn ihnen nicht eine starke Hand an der Gurgel säße.

Die Frankfurter Künstler wissen jetzt deutlich, woran sie mit uns sind, und wenn sie in Esch gut empfangen werden, so werden sie es doppelt zu schätzen wissen.

TAGS
  • Theater
KatalognummerBW-AK-010-2093