Original

4. März 1922

In der «Indépendance Luxembourgeoise» setzt sich Herr Richard Cornet in liebenswürdiger Weise mit mir über den Fall Noppeney-Palgen auseinander.

Ich will versuchen, ebenso liebenswürdig ein Mißverständnis zu zerstreuen, von dem Herr Cornet ausgeht, und das ich, wie ich gerne zugebe, verschuldet habe.

Statt frühere Äußerungen zu berichtigen, will ich lieber nochmals deutlich sagen, wie es gemeint war.

In der Revue «Belgique-Luxembourg» war als erster Vertreter der luxemburger Literatenwelt Herr Marcel Noppeney angeführt und mit einem Gedicht aus einem noch nicht veröffentlichten Band vertreten, während als zweiter Herr Paul Palgen angekündigt und von keinem andern die Rede war.

Als ich dazu Stellung nahm, wollte ich nicht behaupten, diese beiden seien keine luxemburger Dichter. Ich glaubte sogar im Gegenteil gesagt zu haben, sie seien die besten luxemburger Dichter französischer Zunge.

Aber sie sind nicht typisch für das luxemburger Literaturphänomen. Sie schreiben das Französische als Muttersprache, während die Luxemburger, die unter den hiesigen Durchschnittsverhältnissen aufwachsen, sich sowohl das Französische wie das Deutsche erst in einem Alter aneignen, wo es ihnen nicht mehr zur Muttersprache werden kann.

Und das ist typisch für unser Schrifttum: Dies trotzige Erraffen von Ausdrucksmöglichkeiten, die uns nicht in die Wiege gelegt waren, dies leidenschaftliche Ringen mit einer Sprache, die uns in ihrer Technik und in ihrem Geiste fremd war, bis wir durch den Buchstaben hindurch an sie hinandrangen, sie lieben lernten und uns ihrem Zauber ergaben.

Darin kommen Notwendigkeiten und Rasseeigenschaften zum Ausdruck, die für unser nationales Wesen charakteristisch sind: Hartnäckigkeit, Wissensdrang, Anpassungsfähigkeit ohne Aufgeben der eigenen Art, Bau des heimischen Herdes mit den schönsten Steinen aus der Fremde, Durchdringung des Ganzen mit leidenschaftlichem Selbständigkeitswillen.

Typisch in diesem Betracht sind und waren für unser literarisches Schaffen Männer wie Nikolas Ries, Matthias Esch, Josef Hansen, Becker, Tresch, Tockert, Frantz Clement, Josef Kolbach, René Engelmann, Alex Weicker und viele andere, sogar der Apostat Norbert Jacques, der vor lauter Bodenständigkeit dahin gekommen war, seine Heimat zu hassen mit dem Haß, der aus umgestandener Liebe gemacht ist.

Paul Palgen und Marcel Noppeney sind Luxemburger. Darin stehen sie uns gleich. Sie sind ihrer Sprache nach Franzosen, obgleich zugegeben sei, daß sie das Deutsche ebenso gut beherrschen, wie die Besten von uns. Aber von ihnen kann man sagen, daß Französisch ihre Muttersprache ist. In ihren Werken brauchten sie nicht zu überwinden, was wir alle überwinden müssen, wenn wir etwas anderes sprechen und schreiben, als unser luxemburger Platt. Unser alter Professor Neumann sagte uns immer: Wenn Ihr das bißchen Luxemburgisch nicht könntet, müßtet Ihr bellen! Nun, wenn wir es vom Bellen zum Reden und Schreiben bringen, so ist das alles Mögliche.

Der Vergleich, den Herr Cornet zwischen uns und den Vlamen, Wallonen, Schweizern, Bretonen usw. anstellt, trifft daneben. Diese alle haben nur mit einer Mundart und der dazu gehörigen Schriftsprache zu tun - macht zwei. Wir haben unser Platt, das dem Wortschatz und der Mechanik nach deutsch, seinem Geist nach nichts weniger als deutsch ist - ein luxemburger Dialog übersetzt sich viel leichter ins Französische als ins Deutsche - darüber haben wir das Deutsche und das Französische - macht drei.

Fazit: Den HH. Palgen und Noppeney wird nicht die Eigenschaft als luxemburger Dichter abgesprochen, es wird nur bestritten, daß sie als typisch für das luxemburger Schrifttum in Anspruch genommen werden können, wie es in der Revue «BelgiqueLuxembourg» geschieht.

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