Original

8. März 1922

Die Aufführung der «Nouvelle Idole» erinnerte mich an zwei Menschen, die ich kannte. Sie glichen sich darin, daß beide innerlich am Altar ihres Gewissens das Opfer ihres Lebens gebracht hatten. Sie warteten nur auf Abruf, auf Spezifikation, wie es im Geschäft heißt.

Der eine war Offizier, der andere Arzt. Beide hatten schon den Odem des Todes an den Wimperhaaren gespürt. Der Offizier hatte an einem Bauchschuß wochenlang im Lazarett gelegen, zwischen Tod und Leben, der Arzt hatte sich bei einer Wöchnerin eine Blutvergiftung zugezogen, bei der er nur wie durch ein Wunder davonkam.

Beide nahmen es mit ihrem Opfer sehr ernst. Der Offizier hatte sich damit abgefunden, daß er im nächsten Krieg dran glauben müßte, der Arzt ging an jedes Krankenbett mit dem festen Entschluß, sein Leben, wenn es sein müßte, einzusetzen, um das des Patienten zu retten.

In einem nur waren sie grundverschieden.

Der Offizier war die frohe Stunde. Niemand sah ihn je traurig oder übel gelaunt. Wenn er nicht lachte, schimpfte er, mehr „um die Pferde zu bewegen“, als aus Zorn oder um zu zeigen, daß er es besser wußte. Er pflegte als Grundton seines Charakters eine humorvolle Skepsts, er lebte in den Tag wie einer, der weiß, daß ihm sein Leben nicht mehr gehört, daß sein Dasein eigentlich nur noch ein Geschenk des Schicksals ist. Und da man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul sieht, sprang der Offizier mit seinem Leben um, wie mit einem Gaul, um den es nicht schade ist, wenn man ihn zuschanden reitet. Oder um ein anderes Bild zu gebrauchen: Er spielte mit seinem Leben Fußball auf einem Feld, auf dem es kein Tor gab. Er shootete drauf los, ohne zu achten, wohin der Ball flog, und nur in der Ehre und im Dienst war er allezeit auf dem Damm.

Der Arzt hingegen war feierlich, wie ein Karthäufermönch, der immer an sein Gelübde denkt, Er verweilte mit seinen Gedanken ständig bei dem Großen und Hehren, das es um sein Opfer war. Er hatte sich einen schwermütigen Augenaufschlag angewöhnt, es war ihm darum zu tun, daß jedermann um seinen heroischen Entschluß wußte, und wenn die Damen zu ihm sagten: „Es muß doch entsetzlich sein!“ zuckte er die Achseln und flüsterte: „Reden Sie bitte nicht davon!“

Der Offizier war mir lieber. Er wußte zu geben. Geben ist nicht nur seliger, sondern auch schwerer, als nehmen. Er schenkte sein Leben seinem Land und seinen Mitbürgern, wie ein Kavalier seiner Geliebten ein Kleinod schenkt, das ein Vermögen kostet. Er tut dabei, als handle es sich um eine Haarnadel oder ein Glas Wasser. Er hat seinen Lohn vorweg und wartet nicht darauf, daß sie ruft: „Nein, wie entzückend!“ Er besitzt die Tugend der Diskretion.

Der Arzt betonte den hohen Wert seines Geschenks. Er sagte gern, was der Schmuck gekostet hatte. Er drehte ihn auf den Fingerspitzen herum, ließ ihn funkeln, wartete immer wieder, wie er der Geliebten gefiele. Er gefiel ihr sehr gut, sie fand ihn pompös, riet, um dem Mann zu gefallen, auf einen viel höheren Preis, als den, den ihr der Juwelier schon genannt hatte und fand den Doktor langweilig.

Und doch war er ein großer und berühmter Mann und der Offizier nur ein leichtsinniges Huhn.

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KatalognummerBW-AK-010-2106