Original

9. März 1922

Mein trefflicher Kollege Herr Richard Cornet gibt sich in der «Indépendance Luxembourgeoise» eine rührende Mühe, mich zu seinen Ansichten über unser Verhältnis zu den beiden Schriftsprachen französisch und deutsche zu bekehren. Er kennt mich schlecht. Ich bin ein verstockter Sünder und zumal in dieser Sprachenfrage müßte schon ein Wunder geschehen, um mich von meiner Meinung abzubringen.

Herr Richard Cornet behauptet zweierlei: Erstens, daß unsere zweite Muttersprache das Deutsche sei, zweitens, daß wir mit unserm Platt genau dran seien, wie die Bretonen, Wallonen, Vlamen usw. mit ihren respektiven Mundarten.

Mein lieber Kollege, wer hat Ihnen das auf- gebunden, daß wir mit dem Deutschen aufwa@ weil wir als Kinder deutsche Gebetchen lallen @ in der Volksschule auf deutsch rechnen lernen? @ demselben Recht beinah könnten Sie sagen, @ Französische sei die Muttersprache der Englän@ weil die Devise des englischen Hosenbando@ heißt: Honny soit qui mal y pense!

Unsere einzige Muttersprache ist das luxemb@ Platt. Der Vergleich mit den Wallonen, Vla@ Bretonen und andern Völkerstämmen ist kein @ weis. Zeigen Sie mir einen belgischen oder fra@ sischen Ministerrat, in dem platt gesprochen @ Nun gut, hierzuland wird die Mundart bis in@ Ministerbüros der Regierung hinauf als Mu@ sprache geehrt und gesprochen.

Es ist nicht wahr, daß das Schriftdeutsche bei @ sich auf die Mundart pfropft, wie in Wallonien @ Französische auf den romanischen Wildling, oder @ jenseits der Mosel und Sauer die Bevölle@ deutscher Zunge ihr Hochdeutsch aus der Mun@ entwickelt, die der unsrigen im Äußeren ähnlich @ Wer in den Geist des Luxemburgischen und @ Deutschen irgendwie eingedrungen ist, weiß, @ sie in ihrem Untergrund total verschieden @ Darüber wäre eine längere, sprach- und vö@ psychologische Abhandlung zu schreiben.

Ich fürchte übrigens, bald werden wir keine @ keine zwei - keine einzige Muttersprache @ haben. Denn unser heimisches Platt wird i@ ärger verschandelt. Wenn man keine Natio@ Akademie zur Erhaltung der Sprache gründen @ so gründe man wenigstens einstweilen einen V@ gegen den Mißbrauch des Wortes kruut.

Unser größter Feind in bezug auf Sprachko@ heit ist der nationale Hang zum Sichgehenl@ Wir sind Demokraten bis in die Stilistik hi@ Wir lassen unsere Gedanken nicht antichambri@ bis sie sich zurechtgekratzt, die Kleider geordnet, @ Schuhe abgestaubt, den Schlips zurechtgeb@ haben, wir lassen sie ungewaschen und ungekä@ mit der Tür ins Haus zur Audienz fallen. U@ Sätze sind Mißgeburten. Kälber mit zwei Kö@ und sieben Schwänzen, aber ohne Beine, auf d@ sie stehen können. Das gilt nicht nur für die Pr@ tiven, sondern für viele Intellektuelle. Man @ nur in die Abgeordnetenkammer, die eine Fo@ kammer für die Sprachen ist. Wenn die Spr@ schreien könnten, würde man sie bis auf die S@ brücke und bis auf den Knodlergarten schreien @

Nein, mein lieber Herr Kollege, die Sache is@ uns wirklich nicht so einfach, wie anderswo, @ wären wir eben nicht, was wir sind.

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    KatalognummerBW-AK-010-2107