Original

21. März 1922

Ich trank eine Tasse Schwarzen mit Beforter Kirsch, und mein Gegenüber war eine ebenso hübsche wie gescheite junge Frau, die mir Vorwürfe über die Feuilletonromane der „Luxemburger Zeitung“ machte. Zu einem guten Kaffee mit Beforter Kirsch läßt man sich das gefallen.

„Courths-Mahler und Anny Wothel“ sagte sie und klopfte dabei mit ihrem schlanken, brillantberingten Zeigefinger auf den Tischrand, um ihren Worten größeren Nachdruck zu verleihen. „Die größten Schund-Erzeugerinnen des Jahrhunderts.“

„Wetten, Gnädigste,“ sagte ich darauf, „daß Sie in der Zeitung immer zuerst den Roman lesen, und am liebsten, wenn er von einer dieser beiden Schundfabrikantinnen ist.“

„Das ist es ja grade!“ rief sie mit einem Lachen der Verzweiflung. „Sie sind so klebrig, daß man nicht von ihnen loskommt. Man saugt sich daran fest, wie die Fliege am Honigteller. Und hinterher schämt man sich vor sich selber.“

„Trösten Sie sich, Gnädigste, Sie sind nicht die einzige, denen diese ästhetische Seite ihres täglichen Lebens zu schaffen macht. Erst heute morgen gingen mir zwei Briefe zu, aus denen Sie ersehen können, wie das Bild sowohl der Frau Hedwig CourtheMahler wie das der Frau Anny Wothe von der Parteien Haß und Gunst verwirrt in der Literaturgeschichte schwankt.

Lesen Sie erst diesen Schmähbrief:

„„Sehr geehrte Redaktion! Sind Sie denn immer noch nicht dahinter gekommen, daß Ihre Romane von der Anny Wothe und andern gleichwertigen Blaustrümpfen den Gipsel der Unmoral und Lascivität erklimmen! Sie genieren sich gar nicht mehr, die verfänglichsten Situationen unverhohlen anzudeuten. Sie schaffen eine Atmosphäre wie mit türkischen Parfüms und rot glühenden Lampen, man schüttelt sich ja, wenn man da heraus in frische Luft kommt. Noch ein solches Schundprodukt, und ich bin die längste Zeit Ihre Abonnentin gewesen.““

„Temperamentvoll, aber wahr,“ gab die junge Frau zu.

Zweiter Brief:

„„Lieber Herr Redakteur! Was haben Sie da wieder einen herrlichen Roman angefangen! Es sind lauter so edle und schöne Menschen drin, an denen man sich freuen kann. Unsereins steht den ganzen Tag hinter einem Ladentisch und bedient die Kundschaft. Jeder Mensch, der da hereinkommt, ist unser Feind, er feilscht mit uns, er möchte uns am liebsten betrügen, wir sehen alle von ihrer häßlichsten Seite. Und wenn man dann abends die Zeitung liest, ist man so froh, daß lauter so ritterliche Menschen um einen sind, man kennt sie, wie wenn sie auch jeden Tag in den Laden kämen, und sie werden am Schluß immer glücklich, und die, die sich lieben, bekommen sich immer. Wenn sie sich nicht im Leben bekommen - oh nein, noch lange nicht immer - dann sollen sie sich wenigstens im Roman bekommen, und dann weint man, man weiß nicht, ob es über das eigene Unglück ist oder über das Glück der andern, aber man ist froh, und es ist einem nachher wieder leichter.““

„Das arme Ding hat schließlich auch recht,“ sagte die junge Frau. „Aber Sie könnten wirklich einmal etwas anderes bringen, als die ewigen Liebesgeschichten mit Hindernissen aus einer Umwelt, in die nie einer von uns den Fuß gesetzt hat. Warum bringen Sie nicht einmal z. B. einen guten Kriminalroman? Warum hat noch nie ein Luxemburger einen Kriminalroman aus dem eigenen Land geschrieben? Luxemburg ist voll unaufgeklärter Mordtaten und räuberromantischer Geschichten, nehmen Sie nur die großen Goldraube ....“

„Still!“ gebot ich ihr, plötzlich ernst geworden. „Ich werde Ihnen einen luxemburger Kriminalroman schreiben.“

„Aber wann?“

„Früher, als Sie denken.“

„Sicher?“

„Sicher!“

Und so kam es .... doch ich will nicht vorgreifen.

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KatalognummerBW-AK-010-2117