„Die Toten reilen schnell.“
(Ich bitte um Verzeihung wegen des alten Zitats, aber es paßt großartig.)
Eben fuhr nämlich ein Automobil-Leichenwagen in schlankem Tempo an mir vorüber, sicher der erste am Platz. (Ich bitte um Verzeihung wegen Platz, aber die Firma heißt wirklich so.)
Dieser Leichenwagen siel mir auf, weil sich in ihm ein großer Widerspruch ausprägte.
Er gab sich alle Mühe, feierlich auszusehen und zugleich dies feierliche Aussehen zu zerstören.
Er hatte die Form eines griechischen Tempels, mit Säulen, Kapitälen, Architrav und allem, was dazu gehört. Ein griechischer Tempel ist uns der Inbegriff der Feierlichkeit. Alles Alte und Langsame erfüllt eine erste Vorbedingung der Feierlichkeit. Das Feierlichste aber ist der Tod.
Und nun denken Sie sich einen griechischen Tempel, der mit Trambahnwagen, Schlächterwagen, Automobilen um die Wette über das holprige Straßenpslaster flitzt, auf seiner Federung kokett sich wiegt, wie ein tanzendes Paar zum Forget me not, und denken Sie sich in Verbindung damit die Idee des Todes, durch einen schwarzweißen Anstrich und alle Nebenumstände verkörpert: Sieht das nicht aus, als ob Klageweiber anfingen, Cancan zu tanzen?
Was alt, tot, langsam sein sollte, wird jung, lebhaft, schnell und aus dem majestätisch hingezogenen Wagen mit schwarz vermummten Rappen, auf deren Köpsen die Straußenfederbüsche wallen, wird das Fahrzeug der Zeit, dessen Seele Schnelligkeit ist.
Allerdings wird vorläufig der Hauptzweck noch nicht erreicht. Der Tote mag es noch so eilig haben, sich für die Ewigkeit zu betten, das Automobil bringt ihn nicht schneller auf den Kirchhof, als der alte Leichenwagen. Da geben die Lebenden das Tempo an und sie benützen den Gang zum Kirchhof als willkommenen Spaziergang. Ich bitte Sie, was hätte ein Kommis vom Begräbnis seines Chefs, wenn es in fünf Minuten hin und fünf Minuten her abgetan wäre und er nicht einen freien Nachmittag dabei herausschlüge!
Das wird erst anders, wenn fämtliche Leidtragenden dem Auto-Corbillard in Selbstfahrern folgen und der Trauermarsch von Chopin als Galopp oder FoxTrott gespielt wird.
Vorläusig beschränkt sich der Zeitgewinn auf die Heimsahrt mit dem leeren Wagen. Eine findige Firma könnte dabei für Kundschaft sorgen, indem sie durch ihren Chauffeur möglichst viele Passanten durch deren eigene Schuld totsahren ließe, für die sie dann vielleicht 25% Preisermäßigung zugestehen könnte. Die Masse muß es bringen.
Nachdem so in articulo mortis das Diesseits dem Fortschritt gehuldigt hätte, müßte das Jenseits unbedingt folgen. Finden Sie nicht, daß die Ewigkeit ein bißchen lang ist? Für einen Menschen, der sich regsam im Kreis seiner Pflichten und Vergnügungen umtreibt, ist jedenfalls nichts so langweilig, wie der Gedanke an die ewig gleiche Ewigkeit. Wenn wir unsererseits den Weg zur Ewigkeit nach Möglichkeit abzukürzen suchen, könnten sie drüben auch ein wenig Entgegenkommen zeigen und etwas ablassen, damit der Turnus rascher herumgeht und wir schneller wieder dran kommen.
Nichts für ungut!