Original

29. März 1922

Der Wagen und die Bremse - moderne Fadel.

Der Wagen führte Klage über die Bremse.

Sie weiß nicht mehr, wozu sie da ist. Sie beschränkt sich nicht darauf, zu bremsen, wenn es was zu bremsen gibt, sie bremst in einem fort. Sie hängt an mir, wie ein Bleigewicht. Geht die Fahrt über ebene hn oder gar bergauf und muß ich hergeben, was ich an Kraft aufbringe, um mit den andern Schritt zu halten, sie bremst in einem fort, nur um sich zu ätigen, weil es in ihrer Natur liegt, zu bremsen, weil sie nicht anders kann.

Ja freilich, sagte die Bremse, weil ich nicht anders kann. Ich lasse mich nicht zu einem Wesen zweiter Klasse erniedrigen. Ich will selbständig sein, so gut wie der Wagen, will eine Eigenexistenz führen, will Bremse sein nicht nur, wenn es euch einfällt, mich Tätigkeit zu setzen, sondern wann und wo und wie es mir gefällt. Ich finde es wunderschön und zweckentsprechend, auch in der Ebene und bergauf zu bremsen. Ich fühle meine Wesenheit verdoppelt, wenn ich mich gegen den Wagen stemme, wenn ich spüre, daß er seine Kraft gegen mich aufreibt, daß er meine Gegenwart empfindet, daß er darunter leidet, kurzum, daß ich ihm etwas bin.

Ich danke für Backobst, sagte der Wagen. Ich bin da, um möglichst schnell ans Ziel zu kommen, nicht ihre Gegenwart zu spüren!

Und er nahm einen Anlauf, daß die Bremse dampfte, und stürzte sich kopfüber den Abhang hinunter.

Zerschmeitert lag er in der Tiefe.

So, sagte die Bremse. Das konnte nicht ausbleiben. Er hat nicht auf mich gehört. Nun ist er hin!

Ich aber bin noch da. Mit einer kleinen Reparatur werde ich soweit sein, daß jeder Wagen wieder mit mir fahren kann.

So mußte es kommen. Der Wagen vergeht, die Bremse bleibt. Denn sie ist das Unvergängliche, das Ewige, das Hemmende, Verneinende, Passive. Er ist die Bewegung, sie ist die Ruhe.

Moral:

Verflucht sei die Ruhe, wenn sie Bewegung, die Verneinung, wenn sie Bejahung, die Bremse, wenn sie Wagen werden will.

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KatalognummerBW-AK-010-2124