Kein Fest erwartet die Christenheit so sehnsüchtig, wie Ostern.
Wir haben unserer Sehnsucht nach Ostern Stufen gebaut. Jeder Sonntag ist eine Stufe. Wo ist ein anderes Fest, das so seine Strahlung vorauswirft, dem zu Ehren schon die drei, vier Sonntage vorher besondere Namen empfangen? Der Bratzlesonndeg, der Ellesonndeg, der Pällemsonndeg! Und um zu zeigen, wie schwer wir uns von Ostern trennen, nennen wir den folgenden Sonntag Weiße Ostern.
Der nächste Sonntag ist schon Palmsonntag, Palmarum genannt, weil an ihm das Schnepfenvolk Tralarum geht.
In unsern Breiten wachsen keine Palmen. Aber ein Symbol müssen wir haben, für den Tag, an dem der Erlöser zwischen geschwungenen Palmwedeln auf dem Rücken einer Efelin in Jerusalem einzog. (Seither ist es oft erlebt worden, daß umgekehrt die Efel auf den Erlösern reiten wollen, weshalb sich heutzutage nicht leicht mehr einer als Erlöser auftut.)
Auf der Suche nach einem Ersatz für die Palmen von Jerusalem sind wir auf den Buchsbaum verfallen. Er hat in seiner ersten Silbe keinen schönen Namen und seine zweite Silbe ist eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, denn der Buchs als Baum gehört zu den größten Seltenheiten unserer Gärten.
Aber er ist immergrün, er glänzt, wie lackiert, und er hat einen süßbitteren Duft, den ich nicht um den süßesten Hauch sämtlicher Rosen von Schiras hergeben möchte.
Es ist „der“ Osterduft. Seit ich mich an die Wonne des Auferstehungssonntags erinnere, erinnere ich mich auch an den Dust des Buchsbaums. Wetten, daß ich am Palmsonntag in meine Wanderkluft steige und ein Buchsaumzweiglein am Hut über lenzwindgebleichte Straßen ziehe Gott weiß wohin!
Zufällig fiel mir vorhin ein alter Band der Annales politiques et littéraires in die Hände. Ich schlug ihn auf und las ein Geschichtchen, das Georg Rodenbach zum Palmsonntag erzählt. In einer Beguinage seiner flandrischen Heimat fehlten für das Hochamt die Buchsbaumzweiglein, die gesegnet werden sollten und die der Gärtner zu schicken vergessen hatte. Die Sœur Dorothée des Anges lief in allen Häuschen der Beguinage herum und bat die Schwestern, in ihren Gärtchen den Buchs abzuschneiden und ihn zur Messe zu bringen. Blutenden Herzens opferten alle die Zierde ihrer Gärtchen, nur eine Oberin brachte es nicht über sich, ihren schönen Buchsbaum zu morden. Sie hatte ihn mit ihren Schwestern mühsam in Form eines dornumflochtenen Herzens Jesu gezogen. Sie dachte: Es wird auch ohne mein Öpferchen langen!
Aber ihr Verhalten wurde ruchbar, in der ganzen Beguinage sprach es sich wie die Kunde eines schändlichen Verbrechens herum, daß sie ihren Buchsbaum nicht abgeliefert hatte.
Die Oberin wurde krank und starb. Keine der Schwestern wollte ihr gesegnetes Buchsbaumzweiglein als Weihwedel hergeben, man mußte zuletzt aus dem sorgfältig gepflegten Herzen Jesu einen Zweig für das Weihwasserglas an der Bahre der toten Oberin abschneiden, und die Stelle, wo es fortan fehlte, klaffte, wie eine große Wunde.
Ich hoffe, daß die Oberin im Himmel für ihre Sünde nicht bestraft, sondern belohnt wurde. Denn wenn im Himmel ein lieber Herrgott ist, der sich mehr oder weniger um die Menschen und ihr Tun und Lassen kümmert, so wird er es sicher viel lieber sehen, daß sie seinen Buchsbaum und seine Blumen und seine Menschen wachsen lassen, statt sie abzuschneiden und auf seine Altäre zu stellen in der Meinung, ihm damit einen Gefallen zu tun.