Original

7. April 1922

„Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“

Aber es fällt zuweilen schwer.

Im vorliegenden Fall möchten wir gar zu gern edel sein, aber ein Schuß Schadenfreude ist in dem Edelmut schwer zu vermeiden.

Als seinerzeit Herr General-Direktor Neyens die Vertreter der inländischen Presse versammelt hatte, um ihnen seine Absicht vorzutragen, das Land mit der Post-Sonntagsruhe zu beglücken, da war der Vertreter des „Escher Tageblatt“ - von den klerikalen Zeitungen nicht zu reden - freudig bereit, für den Quäkersonntag einzutreten. Nicht aus besonderer Hochachtung für den Tag des Herrn und aus angeborenem Abscheu gegen die Sonntagsschändung, sondern weil er der „Luxemburger Zeitung“ von Herzen gönnte, daß ihre Morgenausgabe von Sonntags, die für die Abonnenten von besonderem Werte war, nunmehr zwecklos würde.

Die damalige Zustimmung der Presse hat Herrn Neyens kühn gemacht. Er ist bekanntlich weiter gegangen und hat die Briefverteilungen abgeschafft, die die Postdirektion für überflüssig hält.

Und siehe da, jetzt tritt er auf einmal auch dem „Escher Tageblatt“ auf die Hühneraugen. Und in seiner Nummer vom letzten Mittwoch stößt es folgenden Schmerzensschrei aus:

„Zum Schluß noch ein kleines Beispiel, um zu beweisen, zu was für grotesken Situationen die Methode des Herrn Neyens führt. Monnerich liegt 4 Kilometer von Esch entfernt. Unser Blatt (Escher Ausgabe) ist vormittags um 10.45 Uhr zum Versand bereit. Es gelangt in Monnerich aber erst zur Verteilung am anderen Morgen gegen 10 Uhr. Also genau vierundzwanzig Stunden braucht die Post, um 4 Kilometer zurückzulegen. Braucht man sich dann noch zu wundern, wenn wir nach der Abschaffung des Postmonopols rufen. Denn wenn die Post nicht imstande ist, für gutes Geld die Steuerzahler anständig zu bedienen, so soll sie es jedenfalls den Privaten nicht unmöglich machen, sich selbst zu helfen.“

Als wir seinerzeit in ungefähr denselben Worten Herrn Neyens zu Leibe rückten, stand das „Escher Tageblatt“ auf der andern Seite der Barriere.

Es ist heute zu besserer Einsicht gelangt. Wir können es dazu nur beglückwünschen und hoffen, es von heute ab im Kampf gegen die Post ganz auf unserer Seite zu finden. Zu einer „anständigen Bedienung der Steuerzahler“ gehört es nämlich auch, daß die Steuerzahler nicht von Samstag abend bis Montag morgen von der Welt abgeschnitten werden, „besonders in einer Zeit, wo die wirtschaftliche Neuorientierung unsere Kaufleute zu stärkerem Konkurrenzkampf nötigt“.

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KatalognummerBW-AK-010-2132