Heute nachmittag um halb vier Uhr findet im großen Cercle-Saal ein Konzert statt, das infolge eines besondern Umstandes zu den seltsamsten zählen wird, die je hier gehört wurden.
Drei Mitwirkende stehen auf dem Programm. Aber als vierter wirkt einer mit, der längst nicht mehr im Tag wandelt. Der vierte Konzertgeber ist ein Toter, den alle liebten. Er wird auferstehen und dabei sein mit all der tiefen Hingabe, die er demselben Werk gewidmet hatte, dem das Konzert von heute gilt.
Dr. August Flesch!
Ihm zu Ehren geben heute Frau Marianne Delacre-Weber, Frl. Josephine Decker und Frau Daisy Collart-Weber dies Konzert. Der Ertrag ist für ein Werk bestimmt, von dem man sagen darf, es sei das Lebenswerk jenes Toten gewesen. Freilich, es ist so groß, daß viele warmherzige Menschen in unserm Lande daraus ihr Lebenswerk gemacht haben: der Kampf gegen die Tuberkulose! Aber solang Dr. August Flesch lebte, war er die Seele des Ganzen. Weil er schon eine Seele von Mensch war, und weil er, dessen Leben sich in Krankenstuben abgespielt hatte, den tückischen Feind am besten kannte, mit ihm sozufagen auf du und du stand.
Seine Gestalt wird heute im Konzerisaal lebendig. Die Atmosphäre wird voll sein der Freundschaft und Verehrung für ihn. Zwei von den Künstlerinnen sind Töchter seines treuesten Freundes Dr. August Weber, der Seite an Seite mit ihm im Kampf gegen den schlimmsten Feind der Menschheit stand. Und die Kunst, die ihm die liebste war, die Musik, wird als göttliche Bundesgenossin neben ihn treten.
Nichts ist erhabener und ermutigender, als dies Schauspiel: Der Mensch, der in heiterer Loslösung aus dem Bann der finstern Gewalten das düsterste Elend mit der sonnigsten Kundgebung seines Genies zu bannen sucht. Das war auch ein Stück Lebensphilosophie des zu früh Heimgegangenen. Das Elend, dessen Zeuge er draußen in seinem Beruf sein mußte, das wußte er schon daheim durch ein sonniges Familienleben zu bannen. Das Konzert von heute nachmittag wird wie ein Symbol seines Lebens sein.
Daß es seiner und des großen Zweckes, dem es dienen soll, vollkommen würdig sein wird, darüber gibt ein Blick auf das Programm Gewißheit.
Frau Marianne Delacre-Weber hat einen Namen, dessen Klang in unserer Erinnerung den süßesten Widerhall weckt. Ihre Stimme ist von einzigartiger Fülle und Weichheit, ihr Vortrag von einem so geläuterten Geschmack, daß er in dieser Richtung schwer zu überbieten ist. Ihre Kunst ist in einem Milieu gewachsen, in dem nur für das Erlesenste Platz war.
Für das Niveau der Pianistin Frl. Josephine Decker legt die Wahl ihrer Programmstücke beredtes Zeugnis ab. Daß sie eine Virtuosin ist, weiß jeder, der sie gehört hat, daß sie eine Künstlerin ist, beweist dies Programm.
Und wenn Du, lieber Leser, für die Liga zur Bekämpfung der Tuberkulose nichts übrig und wenn Du Dr. August Flesch nicht gekannt hättest - gehe in dies Konzert, Du wirst auf alle Fälle ein gutes Werk tun - an Dir selbst, an Deiner Seele. Denn die Sonne reinster Kunst wird in Deine Seele scheinen.