Original

12. April 1922

Nicht jedes Geräusch, dar nachts laut wird, ist ein Nachtgeräusch.

Die Nacht hat ihre Stimmen, in denen sie zu Dir redet, wenn Du wach liegst in Pein oder in Gedanken. Du merkst gleich, ob es eine ihrer Stimmen ist, oder eine Stimme des Tages, die sich in die Nacht verirrt hat. Ob es ein Nachtgeräusch ist oder ein Tagesgeräusch.

Zu diesen gehört das Geräusch der nächtlichen Automobile. Sie brummen heran, schnarchen, rattern, gackern, dröhnen, räuspern sich, ärgern sich, schnurrend stöhnen, versummen ihren Eifer, ihren Ärger, ihre Leidenschaft abschwellend in die Ferne. Es klingt als ob eine Kreissäge Raum und Zeit zersägte und dabei auf Splitter und Astknoten stieße.

Aber eine Stimme der Nacht ist das ferne Bellen eines Hofhundes. Es ist nicht der Hund, der bellt es ist die Nacht, die sich langweilt, die friert, die sich nach Tag und Sonne sehnt und ihre Sehnsucht über die Erde heult.

Nachtgeräusche sind auch die lang gezogenen Pfiffe der Lokomotiven, das Rollen der D-Züge. Sie befruchten die Träume und Gedanken mit Vorstellungen aus der weiten Welt, mit Visionen von Lichtstädten, blauen Ufern, weißen Berggipfeln.

Und wenn die Nacht nahe Erlösung spürt, leiht ihr der Hahn seine Stimme. Sein Schrei klingt seltsam, wie aus einem Reich zwischen Mensch und Tier. Eine Klang-Orchidee auf schwarzem Grund. Der Hahnenschrei ist beinahe ein artikulierter Laut aus deutlichen Silben, und voll eines unbändigen Willens nach vorwärts und nach oben. Das Wau wau des Hundes, das Muh des Rindes sind Zorn, sind Stumpfsinn, unfruchtbare Gemütsbewegungen Das Kikeriki des Hahns ist ein Programm, eine leidenschaftliche Rede an das Volk: Auf, mir zu Kampf und Sieg!

In diesen Tagen und Nächten merkst Du dem Hahnenschrei an, daß ihm eine besondere Bedeutung innewohnt. Er will auf die Wichtigkeit seines Geschlechts aufmerksam machen. Das Hühnervolk, im Winter seine relative Überflüssigkeit gefühlt haben mochte, empfindet jetzt, daß es mit ihm wieder aufwärts geht. Mit jedem Ei, das dem Huhn entfällt, wird es sich bewußt, daß es ein nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft ist. Wenn die Hühner über den Stand der Valuta Bescheid wüßten, könnten sie sich nicht mehr vor Stolz bei den Gedanken, daß sie sich hier nur zu ein paar zusammen zutun bräuchten, um in einem Jahr das Gehalt eines deutschen Landgerichtsrats oder eines österreichischen Ministers zu legen.

Ich sagte, daß das eierlegende Huhn sich als nützliches Glied der menschlichen Gesellschaft ein findet. Wir sollten ihm dafür dankbar sein, das Huhn steht moralisch nicht sehr hoch in unserer Achtung. Wir halten es für dumm und einfältig und leichtsinnig, haben sogar das Wort Sumpfheit geprägt. Das alles nur, weil das Huhn sich selbstlos für uns opfert. Es verleugnet uns zu seine Vogelnatur und geht zu Fuß, damit wir bequem einfangen, rupfen und in einen Kopf tun können. Es legt seine Eier nicht, da daraus junge Hühner werden, wie das in der Natur vorgesehen war, sondern es legt sie uns zu damit wir sie als Setzeier, Spiegeleier, Speck Omelette, Ostereier und in ungezählten anderen Formen essen können. Es ordnet sich ganz den selbstsüchtigen Zwecken des Menschen unter, und der spielt sich dabei als Einpeitscher auf. Huhn und wollen sich bei uns lieb Kind machen, aber ihnen bis jetzt nur in sehr geringem Maße gelungen.

Ich weiß nicht, wer dabei am meisten zu @

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KatalognummerBW-AK-010-2136