Original

3. Mai 1922

Ein fremder Diplomat, der mir am Sonntag in der städtischen Schwimmhalle begegnet, machte mir Komplimente darüber, daß in Luxemburg soviel Unterhaltung geboten sei. Er kam von dem russischen Konzert, das jeder Großstadt würdig war, zu dem Schwimmfest, mit dem wir ebenfalls in jeder Beziehung Ehre eingelegt haben.

Sie sehen, wir machen uns.

Vor nicht gar langer Zeit waren die luxemburger Sonntage Abgründe von Langeweile. Ein Schwimmfest, wie das vom letzten Sonntag, hätte in dem Luxemburg der achtziger und neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts gewirkt, wie eine Prise Paprika in den Rüstern eines alten Gauls. Man hätte sich durch Hintertürchen hingeschlichen, und daß gar Damen, lebendige junge Mädchen vor allen Leuten einige Quadratzentimeter mehr von ihrer Haut gezeigt hätten, als Gesicht und Hände, darüber wäre mehr als einer und eine in Ohnmacht gefallen.

Heute gehören unsere Schwimmfeste sozusagen zum öffentlichen Leben der Hauptstadt, und schon Sonntag konnte man von überfüllten Tribünen reden.

Der Sport, der für den Menschen ein neues Element erobert hat, hat sich in Luxemburg trotz ungunstiger Verhältnisse durchgesetzt. Er ist der schönste, weil er die ästhetischen Forderungen am vollkommensten erfüllt. Bei keiner Leibesübung sind Bewegung und Zweck so restlos aufeinander eingestellt, bei keiner kommt die „Tendenz“, die Bestrebung so scharf und rein zum Ausdruck. Sehen Sie, wie beim Waterpolo die Spieler auf den Ball zuschwimmen. Schlank gestreckt, in Pfeilgestalt, der ganze Körper in allen Linien die Gier nach vorwärts ausdrückend, so schießt der Mann auf sein Ziel los. Oder er macht den Kopfsprung vom hohen Brett: Sekundenlang erscheint er uns als ein gottbegnadetes Wesen, befreit von Erdenschwere, in schwebendem Flug, mit seinen schönsten Linien umschrieben, so, wie der Körper am reinsten und edelsten in der wunderbaren Zweckmäßigkeit seines Baues zu wirken vermag.

Vom (Schwimmen) gilt, wie nirgends: Practica est multiplex. Da muß am raffiniertesten nach dem größten Nutzeffekt getrachtet werden. Der Schwimmer muß aus dem Wasser, das sein Herr sein will, seinen Knecht machen, aus dem Feind einen Freund, aus dem Hindernis eine Förderung. Er muß seinen Widerständen so begegnen, daß sie ihn tragen, statt ihn zu hemmen, muß jedes Wellchen, jede Strömung ausnützen. Nirgends sind das Spiel der Muskeln und der Bewegungsinstinkt in so enger Fühlung wie hier mit der Materie, die es zu besiegen gilt.

Wenn das Publikum dem Schwimmsport gegenüber Fortschritte gemacht hat, so gilt dasselbe Lob in noch höherem Maße von unserm Swimming Club. Die Straßburger werden sich am Sonntag gewundert haben. Die Mannschaft, die ihnen das letzte Mal als ein Häufchen blutiger Anfänger entgegengetreten war, hat sich in zähem und sachgemäßem Training emporgerungen und über ihre Sieger von früher triumphiert. Man merkte am Sonntag an allen Einzelheiten, daß diesem jungen Verein durch seine Führer die Prinzipien des edelsten und reinsten Sportgeistes eingepflanzt sind. Er zählt Kräfte, die zu den schönsten Hoffnungen berechtigen, von seinem spiritus rector bis herunter zu seinem Benjamin, dem kleinen (Staudt,) der durch seine tadellosen Kopfsprünge die Zuschauer begeisterte. Frl. Lori Koster wurde seit langem zum ersten Mal geschlagen, zwar nur um ein paar Nasenlängen und von einer Championne de France. Das lehrt sie, auf ihren Lorbeeren ausruhen!

In einem haben uns die Straßburger eine pace vorgelegt, die unsern Schwimmern bezw. Springern noch lange zu schaffen machen wird: das ist die Arbeit ihres Meisterspringers Weil Die verblüffende Sicherheit, mit der dieser die halsbrecherischsten und schwierigsten Sachen vollbringt, macht ihm so bald keiner nach. Aber es ist gut, daß allen Strebenden das Ziel so hoch wie möglich gesteckt wird. Vielleicht wird aus dem kleinen Boyti Staudt noch einmal unser Weil.

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