Die Kammerdebatten über die Kinozensur erinnern an die Bemühungen, die von Gutgesinnten zu allen Zeiten gemacht wurden, um die Weltliteratur für die Jugend gewissermaßen alkoholfrei herzurichten.
„In einem kühlen GrundeDa geht ein Mühlenrad:Die Tante ist verschwunden,Die dort gewohnet hat.“Der Kampf gegen den Schund geht Hand in Hand mit dem Kampf gegen den Alkohol.
Was Alkohol ist, läßt sich wissenschaftlich bestimmen.
Aber was ist Schund? Geschmackssache. Unser alter Religionslehrer fand, daß der ganze Goethe mit wenigen Ausnahmen Schund sei. „Goethe das Schwein!“ pflegte er in seiner derben Art zu sagen. Beim Namen Heine aber schwoll ihm die Zornesader und er spuckte aus.
Die Kinozensur soll, nach einem Wort des Herrn Philippe, den Pädagogen helfen, in der Jugend die guten Instinkte gegen die schlechten Neigungen zu stärken. Aber da beginnen die Schwulitäten der Pädagogen. Wie leicht wird da mit dem Unkraut das nützliche Pflänzchen ausgejätet, wie leicht wird aus einem gestärkten guten Instinkt im Handumdrehen ein Laster! Man legt es darauf an, in einer jungen Seele den Hang zum Geiz auszurotten und entfesselt die darin schlummernden Verschwenderinstinkte. Oder man will einen jungen Mann zur Sparsamkeit anleiten und erzieht ihn zum schmutzigen Geizkragen. Wie schwer ist es da, in den moralischen FibelErzählungen die Moral richtig zu dosieren! Ich erinnere mich dunkel zweier solcher Erzählungen aus meiner Kinderzeit. In der einen wurde uns ein vornehmes Kind als das Urbild des verabscheuungswürdigen Geizhalses vorgeführt, weil es jeden Groschen auf die hohe Kante legte und einem armen, hungernden Knaben kein Stückchen von seinem Butterbrot abgeben wollte. In der andern wurden wir vor der Verschwendungssucht gewarnt durch ein Abenteuer, das Benjamin Franklin als Kind erlebt hatte. Er hatte nämlich an einem Feiertag sein Geld in einer Trillerslöte angelegt, was ihm nachher, als er am Trillern genug hatte, leid wurde.
Wie leicht wäre es, zu beiden Geschichten die Gegengeschichte mit der entsprechenden Schlußmoral zu schreiben: Zu zeigen, wie aus dem geizigen Kind ein großer Volkswirtschaftslehrer und gar Finanzminister in schweren Zeiten wurde, der der Hydra Defizi alle Köpfe abschlug ohne Exporttaxe auf die Großindustrie, und wie sich in Benjamin Franklin der Hang, mit seinem Taschongeld Trillerflöten zu kaufen, zu jener Seelengröße entwickelte, die mit der Liebe zum Ideal identisch ist.
Wie sehr die Ansichten über gute und schlechte Instinkte auseinander gehen, mögen Sie aus folgender Notiz entnehmen, die dieser Tage in der „Frankfurter Zeitung erschien: „Während die deutsche Jugend durch die Bekämpfung der Schundliteratur gegen die Auswüchse amerikanischer WildwestRomantik geschützt wird, führen die Pädagogen der Vereinigten Staaten in ihrer Weise den Krieg gegen deutsche Jugenddichtung, und zwar haben sie sich zum Gegenstand ihrer Fürsorge die altehrwürdigen Grimmschen Märchen auserkoren. Wie in der Deutschen Verleger-Zeitung erzählt wird, berichten amerikanische Blätter, daß jetzt in den Vereinigten Staaten „ernste Anstrengungen gemacht werden, um gewisse rauhe und grausame Tatsachen aus den Märchen der Brüder Grimm zu entfernen, damit die amerikanischen Kinder nicht roh werden“.“
Also in Amerika finden die Pädagogen keine Roheit in den Kraftstücken der Cowboys z. B., wie sie in den Romanen der Zane Grey geschildert werden, aber sie sehen eine jugendverderbende Roheit darin, daß die alte Hexe Hänsel und Gretel im Käfig mästet, um sie nachher zu verspeisen.
Das kommt wahrscheinlich daher, weil sie in Amerika eine viel jüngere Kultur haben.
Also wie sollen es die Pädagogen anfangen, um es jedem recht zu machen?
Es ist „siehr schwier!“ sagen sie in Diekirch.