Erstes Bild: Schauplatz, mein Heimatdorf; Zeit, kurz vor dem siebziger Krieg; Personen, das ganze Dorf, der Held ein Schmiedegeselle aus Sandweiler, einer von den zahlreichen (Kolbesch,) vor deren Haus an der Landstraße lange Jahre der Notstall mit dem Pferd aus Blech darüber als Wahrzeichen des Betriebes stand Der junge Mann hatte sich aus zwei leichten Kutschrädern ein Veloziped zusammengebesselt. Als er ins Dorf einfuhr, wirkte er, wie ein Gespann von apokalyptischen Tieren. Er wurde mit Geschrei empfangen, von groß und klein, Männlein und Weiblein, jung und alt begafft und begleitet, man lief ihm nach bis vors Dorf und sah ihm die Straße an der Mosel entlang noch kilometerweit nach, stellte fest, daß er schneller fuhr, als der Zug, lauschte auf den Herrn Pfarrer, der wohlwollend erklärte, dies neue Fortbewegungsinstrument heiße Veloziped, das komme von velox, schnell, und pes pedis, der Fuß.
Dann kam der junge Kolbert zurück und ließ mich auf seinem Rad sitzen und sagte, er werde mir in den nächsten Wochen auch eines bauen, und meine Brust war vor Stolz und Sehnsucht nach dem Rad Monate lang geschwellt. Sie schwoll allmählich ab, je länger es dauerte, bis das Rad kam, und zuletzt, als es gar nicht kam, war an der Stelle des brennenden Wunsches nur noch ein Häufchen Asche.
Zweites Bild: Zirka fünfzehn Ihre später. Glacis, Tribunen, Volk, schlanke junge Männer jagen einander um eine flache Rennbahn auf schwindelnd hohen Rädern nach. Auf dem einen, hohen Rad sitzen sie, das andere, winzig kleine, wächst ihnen an einem langen, dünnen Ast aus dem Rücken heraus, damit sie nicht hintenüber fallen. Der Luxemburger Veloce-Club, V. C. L., das Urbild aller Radfahrvereine, hat ein Rennen veranstaltet. Unter den Zuschauern sitzt ein junger Mann, der in seinem Busen den brennenden Wunsch nach einem Fahrrad aus der Asche wieder aufflammen fühlt. Aber die Räder kosten ein Heidengeld, und er hat seine letzten Groschen ausgegeben, um sich Visitkarten mit seinem derzeitigen Titel «aide commis expéditionnaire provisoire du Gouvernement» drucken zu lassen. Sein Wunsch sliegt hinter den Wettfahrern drein, den „Bocken Alen“, den Juppi Settegast den Petesch, Diderrich, Von der Weiden Heinrich und wie die Ritter vom hohen Bi damals hießen. Zu einem Rad langte es nicht, aber zu einer Klubmütze mit V. C. L.
Drittes Bild: Diesmal hat er sein Rad. Und er sitzt mit fröhlichen Klubgenossen im Müllertal auf den bemoosten und heildelbeerbestandenen Felsen der Siweschlöff. Und aus einer nahen Mühle ist Dickmilch herbeigeschleppt worden und die ganze Kumpanei schwingt die Löffel. Da fragt Pe’tchen den Albert: „Du Albert, kannst du Flöpp spielen?“ - „Nein, wie wird das gemacht?“ - „Jeder von uns nimmt den Mund dick voll Brach, dann setzen wir uns einander gegenüber und schauen uns ins Gesicht. Wer zuerst lachen muß, hat verloren.“ - „Ich gewinne,“ sagte Albert. Die Beiden setzten sich mit aufgepumpten Backen in Positur. Nach den ersten zehn Sekunden begann Pe’tchen, seine Dickmilch in dünnem Strahl seinem Gegenüber ins Gesicht zu spritzen. Die weiße Brühe troff dem wackern Albert von Stirn und Wange und Kinn, und immer zischte der Strahl weiter. Aber Albert biß die Zähne zusammen und hielt wacker aus, bis der andere fertig war. Dann spuckte er seine Dickmilch auf die Erde und rief triumphierend: „Du hast verspielt!“
Viertes Bild: Morgen, Sonntag nachmittag, im Velodrom an der Bel air-Straße. Der V. C. L. zeigt, daß er immer noch der älteste und sicherste und vornehmste Hort der luxemburger Radfahrerei ist. Sie haben an anderer Stelle gelesen, was er morgen für sensationelle Sachen macht. Wenn Sie je in Ihrem Leben die Beine über einen Fahrradsattel gehängt haben, sind Sie morgen da.