Original

7. Mai 1922

Herr General-Direktor Neyens betätigt sich nicht nur in der Postverwaltung als Neuerer, auch in der Literatur hat er anscheinend eine Reform in Angriff genommen, bei der er es auf eine Modernisierung der landläufigen Zitate und ihre Anpassung an den ktischen und nüchternen Geist unserer Zeit abgesehen hat.

In einer der letzten Kammersitzungen gab er von der Art, wie er diese Umschaffung auffaßt, ein süfisantes Beispsel. Er hatte aus Goethe’s „Faust“ die Worte Mephistos zu zitieren:

„Grau, teurer Freund, ist alle Theorie,Und grün des Lebens goldner Baum.“

Es ist nur zu begreiflich, daß ein Finanzminister sich auf einen Baum des Lebens, der von Gold ist, nicht einläßt und derartige Bilder energisch von der Hannd weist. Er kennt zu genau die Farbe des Goldes, als daß er, und sei es nach Goethe, die Leute glauben machen wollte, ein grüner Baum könne von Gold sein. Darum änderte er kurz entschlossen die oft angeführte Stelle im Sinne moderner Lebensauffassung um und sagte: „Grau ist alle Theorie, nur die Praxis ist grün.“ Das ist kürzer, anschaulicher, konstruktiver sozusagen, indem der Theorie folgerichtig gleich die Praxis gegenüber gestellt wird.

Ich muß sagen, das Vorgehen des Herrn Neyens hat meinen vollen Beifall. Ich habe seine Methode in Eile auf ein paar weitere Zitate angewandt, die in aller Mund sind, und sie hat sich trefflich bewährt. Die alten Klischees sehen in der neuen Aufpolierung durchaus up to date aus.

Um zunächst beim Gold zu bleiben: Was sagen Sie zu folgenden Proben:

„Morgenstunde hat plombierte Zähne,“ oder „Goldne Abendsonne, wie bist du so hochkarätig!“

Auf dem Gebiet der Steuerpolitik besonders macht sich die Modernisierung höchst überzeugend. So z. B. wenn Herr Neyens den luxemburger Industriellen zuruft: „Bleib im Land, sonst mußt du Exporttaxen bezahlen.“ Oder wenn er verträumt vor sich hin singt: „Sah ein Knab ein Röslein stehn, Lief er schnell es nah zu sehn, ob es sich nicht luxusbesteuern ließe.“ Oder: „Wer seine Schulden bezahlt, der ärgert sich.“

Wenn Herr Welter wieder einmal Herrn Neyens hochnimmt, weil er die Steuern so lässig beitreibt, so braucht ihm dieser nur mit einer winzigen Variante zu entgegnen:

„Kommt Zeit, kommt Draht.“

Und wenn ihn derselbe Herr Welter wieder einmal in Harnisch jagt, so zitiert Herr Neyens aus „Tell“

„Es kann der Frömmste den Mund nicht halten, wenn ihm Herr Welter immer drüber fährt.“

Den Nörglern, die immer wieder über den Quäkersonntag schimpfen, antwortet Herr Neyens:

„Kleine Kinder brauchen Sonntags keine Korrespondenz.“

Und wenn wieder einmal die Opposition an den Auslandreisen der Regierungsherren Anstoß nimmt, so singt Herr Neyens mit Eichendorff:

„Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er nach Amerika, Pisa, Genna usw.“

Ich werde nicht verfehlen, den weiteren Bestrebungen des Herrn Neyens auf diesem Gebiet mein ganzes Augenmerk zu schenken und auch Herrn Büchmann darauf aufmerksam zu machen.

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KatalognummerBW-AK-010-2145