Alte Geschichten darf man immer wieder erzählen, wenn sie gut sind. Zumal wenn man eine davon, wie es heute mein Fall ist, als Einleitung braucht.
Es ist die Geschichte von dem wackern Bauersmann, der in der Stadt zum Friseur kommt und das Bedürfnis empfindet, auszuspucken. Links steht ein Spucknapf, der Bauer spuckt rechts. Der Lehrling rückt den Spucknapf nach rechts, der Bauer spuckt links. So geht es eine Weile hin und her, bis sich der Landmann erzürnt und den Lehrling anfährt: „Wenn du jetzt die Schüssel nicht fortnimmst, spuck ich dir mitten drein!“
An den Bauer und den Spucknapf dachte ich am Samstag in der Sitzung unseres Gemeinderats, als über den Artikel „Hygienische Einrichtungen“ verhandelt wurde. Von allen Seiten verlangte man die Errichtung jener Anstalten, in denen angeschrieben steht, daß man sie nicht verlassen soll; ohne die Kleider geordnet zu haben. Aber man vorgaß, die Veranstaltung von öffentlichen Kursen über Anleitung zur Benutzung dieser hygienischen Pavillons zu verlangen.
Denn es ist eine kulturhistorische Tatsache, daß wir uns zu den öffentlichen Anstalten dieser Art verhalten, wie der Bauer zum Spucknapf. Spucknäpfe stehen überall in gewissen Zwischenräumen, fast soviel, wie Bankhäuser. Aber der Luxemburger spuckt aus Prinzip daneben. Wir haben Bedürfnisanstalten, die direkt luxuriös ausgestattet sind und an denen eigene Wärterinnen ihres Amtes walten: Aber die Wärterinnen werden vor Langeweile und Vereinsamung tiefsinnig, während nebenan die Kastanienbäume am Paradeplatz ihre Äste flehentlich gen Himmel strecken und beten: „Herr, halt’ ein mit deinem Segen!“
Wir sind in dieser Beziehung Naturmenschen, gehorchen atavistischen Instinkten, wollen freien Himmel über uns haben. Es gibt Café-Lokale, deren Gäste andauernd die freie Natur als Bedürfnisanstalt benützen und in der Umgebung eine Atmosphäre schaffen, über die sich die ganze Nachbarschaft beschwert. Dabei haben diese Lokale tadellose hygienische Einrichtungen. Es ist nur der alte Bauerntrieb, in gewissen Augenblicken das weite Himmelsgewölbe über sich zu fühlen.
Wäre es nicht endlich an der Zeit, uns von oben bis unten darauf zu besinnen, daß wir keine Hinterwäldler mehr sind, sondern Kulturmenschen mit Hemmungen, die im Verkehr von Kulturmenschen untereinander den allerprimitivsten Forderungen entsprechen sollten? Wollen wir wirklich fortfahren, als eine Heldentat oder als einen humorvollen Akt zu werten, was unter wohlerzogenen Menschen als Roheit gilt und von der Polizei als grober Unfug bestraft wird? Wollen wir es wirklich immer noch als einen Ausfluß unseres angestammten Freiheitsgefühls gelten lassen, daß in unsern abendlichen Straßen oder im Park, zumal in der Nähe gut besuchter Lokale vorbeigehende Damen stets in Gefahr sind, ihr Schamgesühl, zum mindesten ihr Schuhwerk von männlichen Angehörigen aller Bevölkerungsklassen in der Pose des ältesten Bürgers von Brüssel bedroht zu sehen!
Die Polizei allein tut es nicht. Jeder Luxemburger, der darauf hält, daß seine Vaterstadt nicht in einen übeln Ruf und Ruch kommt, sollte daran mitwirken, was man die Gewöhnung seiner Mitbürger an die Vedürfnisanstalt nennen könnte.
An eine haben sie sich gewöhnt, leider: Sie steht als öffentliches Ärgernis seit Jahrzehnten an der Hl. Geiststraße. Jetzt mußte eine Frau kommen, um gegen den Skandal energisch Protest einzulegen.
Das genügt hoffentlich, damit die zuständige Stelle Anweisung erhält, diese ekelhafte Ecke binnen vierundzwanzig Stunden endgültig zu beseitigen und den Mißbrauch durch geeignete Maßnahmen definitiv unmöglich zu machen.