Original

17. Mai 1922

Wir lesen nicht ohne einen gewissen Lokalstolz, daß unserer Großherzogin auf ihrer Reise nach Brüssel von den Belgiern so überschwänglich gehuldigt wurde. Sie war an solche Ovationen von hier aus nicht gewöhnt, und ich weiß nicht, ob das sich restlos durch das Diktum vom Propheten im eigenen Land erklären läßt.

Eines steht fest: Wir können von den Belgiern lernen, wenn es sich um öffentliche Kundgebungen handelt, politische, künstlerische, freund- und seindschaftliche. Sie sind überströmend, spontan, farbenfroh, vergangenheits- und gegenwartsstolz. Sie sind auf das Schillerwort gestimmt: Diesen Kuß der ganzen Welt! Sie sind die geborenen Duzbrüder.

Vielleicht steckt es auch in uns und hat sich nur nicht hervorgewagt, weil wir wirtschaftlich auf die kühlere deutsche Psyche angewiesen waren und darum nicht im Rhythmus der westlichen Nachbarn mitschwingen lernten. Vielleicht wird die engere Fühlung mit den Landsleuten des Rubens auch in uns die größere Freude an Farbe und Üppigkeit und Expansion wecken. Vielleicht sind wir nur zu bescheiden und schüchtern und müssen erst lernen, was wir für tüchtige Kerle sind, wenn wir in näheren Wettbewerb mit einer überschwänglicheren Rasse treten.

Die Belgier scheinen jedenfalls gewillt, eine starte gegenseitige Durchdringung in die Wege zu leiten. Man sieht es am Empfang unserer Großherzogin, und man steht es - an den Reklamewagen der belgischen Zigarettenfirmen, die seit ein paar Wochen durch unsere Straßen fahren. Bis jetzt war man dergleichen hier nicht gewohnt. Höchstens bediente sich ab und zu einmal ein Zirkus dieser Art Reklame. Aber da haben wir die Farbenfreudigkeit, das Wagnis. Ein Auto ist so weiß und bunt, daß es die ganze Bevölkerung in Aufregung bringt, aber das genügt nicht, plötzlich springt aus dem Wagen ein Mohr in herausfordernd farbigem Gewand mit wehendem Burnus, eine Art Operettenspahi, und bietet Zigaretten an.

Ich weiß nicht, ob seine Zigarettten gut oder schlecht waren, ich weiß nicht, ob diese belgischen Automobilzigarettenreklame unter das Kolportagegesetz fällt oder nicht, ich weiß nur, daß das Unternehmen für uns ein Novum ist, das nach irgend einer Richtung seinen Einfluß üben wird. Vielleicht wirkt es aufrüttelnd, vielleicht kommt unsere Geschäftswelt auf den Gedanken, daß sie sich in die belgische Reklamebetriebsweise einschalten muß.

Und dann?

Ja, dann werden sie uns kennen lernen. Denn wir sind noch unverbraucht, wir sind eine gespannte Feder, wir können immer, wenn wir müssen.

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KatalognummerBW-AK-010-2153