Original

18. Mai 1922

In einem Laden standen drei junge Mädchen und suchten ein Hochzeitsgeschenk für eine Freundin aus.

Ich hörte die Worte fallen: „Das macht viel aus.“

Nun muß ich sagen, so reizend die drei jungen Mädchen waren, ich hätte ihre Freundin nicht sein wollen. Denn ich empfinde einen geheimen Schauder vor Geschenken, die „viel ausmachen“. Sie drücken das Niveau, sie sind wie lästige Verwandte, die sich breit machen und die man anstandshalber nicht hinausweisen kann.

Es gibt im Schenken eine Technik, die nur innerlich feine und vornehme Menschen haben. Sie machen ihre Geschenke sozusagen nach Maß. Sie wissen, was dem andern am meisten Freude macht und schenken ihm das. Oder sie wählen etwas, woran er gar nicht denkt, und überraschen ihn damit.

Das Schönste an einem Geschenk ist sein Zusammenhang mit dem, der es gibt. Wenn ein Freund z. B. von einer Reise nach Amerika zurückkommt und er bringt Dir ein Paar indianische Mocassins mit, so freust Du Dich darüber mehr, als hätte er Dir bei seiner Landung in Antwerpen eine kostbare goldne Uhr gekauft. Die Mocassins erfüllen alle Bedingungen, die ein Reisegeschenk erfüllen muß. Sie sind ein originelles Andenken, sie stammen wirklich aus Amerika, sie beweisen, daß Dein Freund schon drüben und nicht erst in Antwerpen an Dich gedacht hat.

Sie deuten an, in welchem Verhältnis Du zu ihm und in welchem Verhältnis er zu den Dingen steht.

Eine große Prinzipienfrage bei Geschenken ist die, ob sie nützlich sein oder dem Luxus dienen sollen. Bei Hochzeitsgeschenken zumal ist das ein peinliches Dilemma, trotz dem Wunschzettel, den ein vernünftiger Utilitarismus in Mode gebracht hat. Wie war das früher so bequem, als das Hochzeitsgeschenk unweigerlich aus einem Photographie-Album bestand! Und heute! Heute durchmißt der Begriff Hochzeitsgeschenk den unendlichen Raum aller Möglichkeiten. Und vor lauter Vielfältigkeit verfällst Du doch immer wieder auf die Blumenvase, das Ölgemälde oder das Dutzend Schnapsgläser. Ich erinnere mich einer wunderschönen Vase, die auf dem Umweg über zirka steben Hochzeitspaare wieder an die junge Dame zurückgelangte, die sie ursprünglich geschenkt hatte und sie nach Jahren unter ihren eigenen Hochzeitsgeschenken wiederfand.

Eine Geschenktechnik eigener Art haben die Väter, die ihren sechsjährigen Söhnchen kleine Dampfmaschinen zu Weihnachten schenken, weil sie selber Spaß daran haben, oder die Gatten, die ihren Frauen zum Geburtstag eine Kiste Zigarren verehren.

Beim Schenken gilt es nicht mehr, daß geben seliger ist, als nehmen. Die Auswahl ist zu schwierig. Daran ist die Tatsache schuld, daß die meisten Geschenke an einem bestimmten Datum und bestimmten Personen gemacht werden müssen. Eigentlich sollte man es so halten: Man geht durch eine Stadt, sieht sich die Läden an, findet einen Gegenstand, bei dessen Anblick einem ein Freund oder eine Freundin einfällt. Das wäre etwas für die oder den! Das kauft man, und man freut sich die ganze Reise auf die Freude des Andern.

Ein Geschenk, das erwartet wird, hat schon die Hälfte seines Reizes eingebüßt. Das wird zu einer Art Trinkgeld. Der Adel des Geschenks liegt darin, daß es unerwartet kommt.

Aber weißt Du jemals, ob der oder die nicht ein Geschenk von Dir erwartet?

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KatalognummerBW-AK-010-2154