Ein Paar Gartenrotschwänzchen hat sich bei uns an einem Fenster angebaut.
Das kleine Mütterchen sitzt jetzt brütend auf den Eiern. Wenn man durch den Vorhang hinausspäht, sieht man die Spitze ihres Schnäbelchens über den Nestrand stechen. Das Männchen fliegt ab und zu. Sieht es beim Zufliegen den Vorhang sich bewegen, so bleibt es flatternd in der Luft hängen und streicht nach einem Weilchen wieder ab, um auf dem Pflaumenspalier unten zu warten, bis die Luft rein ist.
Ich dachte: Wie dumm, daß man den Tierchen nicht beibringen kann, wie freundlich wir ihnen gesinnt sind! Sie könnten sich uns ruhig auf den Finger setzen und uns vertraulich anpiepsen, sie bräuchten sich um keine Atzung zu sorgen, wir schlügen in Brehm’s Tierleben nach, was Gartenrotschwänzchen am liebsten fressen und brächten es ihnen haufenweise. Wir machten bei der Frau Rotschwänzchen einen Wöchnerinnenbesuch und brächten ihr ein paar Extraleckereien, wir kümmerten uns um das Fortkommen der Jungen und hängten ihnen Nistkästchen aus, wo sie nur wollten. Kurzum, zwischen Rotschwänzchens und uns könnte sich eine Familienfreundschaft für ganze Geschlechterreihen herausbilden.
Aber die Tierchen sind mißtrauisch. Erst war ich geneigt, dies Mißtrauen gradezu als Beleidigung zu empfinden. Wenn man es doch so gut meint, nicht wahr, und man sieht seine Absichten so verkannt!
Bei näherem Nachdenken aber fand ich, daß die Gartenrotschwänzchen vollkommen recht haben, mißtrauisch zu sein.
Jetzt tun wir ihnen nichts, beileibe nicht.
Aber es könnte uns eines Tages einfallen, wie schön es wäre, wenn wir in unserer Stube einen Käfig mit Rotschwänzchen hätten, die darin nisteten, Eier legten, Junge ausbrüteten, uns und unsern Bekannten zum Spaß.
Und dann wäre es um die Freiheit der Rotschwänzchen geschehen.
Darum ist es gut, daß sie mißtrauisch sind und sich niemanden auf den Finger setzen, wenn er es auch noch so gut mit ihnen meint.
Der Schöpfer hat am Ende doch gewußt, was er tat, als er den Schwachen das Mißtrauen gegen die Stärkeren in die Brust pflanzte.
Ganz abgesehen davon, daß sich die Rotschwänzchen im Garten und in der Freiheit viel besser machen, als in der Stube und im Käfig.