Eine Gesellschaft Maikäfer saß auf dem Zweig eines Kastanienbaums am Paradeplatz und feierte die erste Kastanienblüte, die mittags aufgebrochen war.
Ihre Festesfreude war gedämpft durch die Sorge um einen der ihrigen. Er hieß Jakob Spinater und war der verwegenste Maikäser, der je im Frühjahr aus dem Boden gekrochen war. Und so gesellig! Sie liebten ihn alle wegen seines offenen Charakters und seines unverwüstlichen Humors.
Am Majestic flammte die Lichtreklame auf, und erlosch, und flammte wieder auf, wie ein Leuchtturm. Als grade die gelbe Flut den Kastanienwipfel überstrahlte, rief einer der Maikäfer - es war Thomas Summbart: „Der Jakob kommt, der Jakob Spinater!“
Sie krochen aufgeregt zusammen und fragten: „Wo, wo kommt er?“
„Da!“ Und Thomas Summbart deutete mit dem linken Vorderbein über die Straße.
Wirklich, da schwirrte Jakob Spinater im brennenden Schein der elektrischen Glühlampen durch die Luft. Er war beleuchtet, wie ein kleiner Planet. Es war gradezu aufregend, wie der leuchtende schwirrende Punkt auf den Kastanienzweig zuflog und auf einmal als Jakob Spinater bei seinen Kameraden auf dem grünen Zweig landete.
„Kinder!“ sagte er, „laßt mich verschnaufen. Was ich alles erlebt habe!“
Und dann gab er sich ans Erzählen.
„Drüben, der andre Weltteil, wißt Ihr, der nicht aus grünen Blättern besteht, sondern aus einer harten, mißfarbenen Masse, worin die viereckigen Löcher sind, die abends hell werden, den wollte ich erforschen. Ohne Euch ein Sterbenswörtchen von meinem Vorhaben zu verraten, flog ich durch eines der viereckigen Löcher hinein, als es drinnen hell war. Was meine Neugier bis zum Äußersten gereizt hatte, war dieser seltsame Schall, der dort immer zu uns heraus drang. Es klang ein wenig, wie wenn der Wind durch die Bäume rauscht, aber viel - wie soll ich sagen - viel herrischer, manchmal, viel bedeutungsvoller, aber dann wieder weicher, zarter. Man wurde bald unglaublich tapfer, bald unglaublich verliebt, wenn man es hörte. Als ich drinnen war, sah ich, daß dort fünf Menschen zusammen saßen, die hatten merkwürdige Tiere vor sich. Auf denen hieben und drückten und strichen sie herum, daß die Tiere diese seltsamen Töne von sich gaben. Wenn ein Stück vorbei war, so waren die armen Tiere so müd, daß sie kein Glied mehr rührten.
Über mir war auf einmal ein ganz niedriger, viereckiger Himmel, an dem viele kleine Sonnen standen. Sie schienen so blendend, wie unsere große Sonne an dem hohen Himmel. Ich versuchte, in eine hineinzufliegen, aber auf einmal war die Luft so hart, daß ich mir daran fast den Schädel eingerannt hätte.
Ich war des Fliegens müde. Viele Menschen saßen herum und taten das, was sie trinken nennen. Die einen tranken aus Gläsern, die andern aus Tassen, aus Löffeln, aus Strohhalmen. Dazu bliesen sie Rauch aus dem Mund.
Ich sah etwas Grünes unter mir und dachte: Aha, da kannst du ein wenig ausruhen!
Ich hatte anscheinend Aufsehen erregt, denn alles sah nach mir hin. Ich hatte mich auf einen von den Menschen niedergelassen, von deren Beinen man nur das untere Drittel sieht, wenn sie gehen. Wenn sie sitzen, etwas mehr. Und die auch zartere Gesichter haben, als die andern, die bis an den Leib gespalten sind. Der Mensch, auf dessen grünem Kleid ich saß, hatte ein Gesicht, wie das Blättchen einer frischen Kastanienblüte.
Ich wäre gern länger sitzen geblieben, aber ich hörte einen Schrei des Entsetzens, grade als ich auf die Kastanienblüte kriechen wollte, und eine rauhe Hand steckte mich in eine dunkle Schachtel.
Als es wieder hell um mich wurde, hörte ich die Worte: „Hier, Herr Redakteur, der erste Hausmaikäfer des Jahres.“
Der andre sagte: „Heben Sie ihn auf, bis Sie genug haben für eine Maikäfertorte!“
Da merkte ich, daß ich unter Kannibalen geraten war. Sie legten mich auf den Rücken und amüsierten sich darüber, daß ich mich abstrampelte, um wieder auf die Beine zu kommen.
Als ich mich unbeobachtet fühlte und die Fünf wieder auf ihren Schalltieren herumkneteten und strichen, benutzte ich die Gelegenheit, breitete die Flügel aus - und da bin ich!“
Die Gesellschaft holte tief Atem, und Thomas Summbart sagte: „Darüber mußt du ein Buch schreiben.“
„Vielleicht spater einmal,“ sagte Jakob Spinater. „Wenn ich älter bin.“