Original

23. Mai 1922

„Juchhe! Ich hab meinen Schnauzbart noch!“

Wiederum mußte ich an diesen Ausbruch der Freude denken, den in den Augusttagen 1914 ein wackerer Trierer in Verse gegossen hatte, um seinen Landsleuten klar zu machen, als welch großer Patriot er dastand neben den andern, die sich ihre Schnauzbärte hatten englisch oder amerikanisch verschneiden lassen und damit eines Teiles ihres Urdeutschtums verlustig gegangen waren.

„Juchhe, ich hab meinen Zylinder noch!“ jauchzte ich, als ich heute morgen in der Zeitung las, der Zylinder sei in Paris wieder Mode.

Als ich das erste Mal nach dem Krieg wieder in Paris war, hatte ich nach alter Überlieferung meinen Zylinder mitgenommen und zu einem Besuch bei einem hohen Tier aufgesetzt.

Ich erregte Aufsehen. Man drehte sich nach mir um. Die kleinen Mädchen stießen sich in die Seite und kicherten. Alle Leute blickten mich an, wie eine Erscheinung, und wußten mich nicht zu rubrizieren. Es dauerte eine Weile, bis ich mir über die Ursache meines Erfolgs klar wurde. Und mit Schrecken stellte ich fest, daß ich der einzige Mann in ganz Paris war, der noch einen Zylinder trug. Auf den Boulevards, wo es sonst vor huitreflets nur so blitzte, war keine einzige Angströhre zu erblicken, auf Montmartre spähte ich vergebens nach einem bord plat aus - ich war und blieb der Einzige. Der Einzige und sein Eigentum: ein Zylinderhut.

Ich nannte Wilhelm Busch einen Betrüger, weil er behauptet hatte: Schön ist ein Zylinderhut - Wenn man ihn besitzen tut. - Ich trug meine Dunstkiepe durch die Straßen, wie eine Fastnachtsverkleidung, ich fühlte mich boshaft vom Schicksal ausgezeichnet und herausgestellt, schlimmer, als hätte es mir einen Buckel oder eine Erdbeernase beschieden.

Ich wollte eine Ungeschicktheit simulieren, das unglückselige Gebilde aus Kaninchenhaaren wie aus Versehen unter einen Autobus schleudern, aber ich fürchtete das Aufsehen. Dann stand es bei mir fest, ich würde den Zylinder meiner Frau verehren, damit sie weiße Bohnen auf dem Speicher darin trocknen könnte.

Allmählich vergaß ich meinen Haß auf den Unglückshut. Bis ich heute las, daß dieser wieder modern sei. Da erinnerte ich mich seiner, stürzte an den Schrank, wo er immer aufbewahrt wird, und holte ihn hervor. Ich probierte ihn vor dem Spiegel und fand mich nicht übel. Ich stellte mir schon vor, wie ich jetzt damit auf den Pariser Boulevards herumginge.

Ich weiß nur nicht, ob er sich noch sehen lassen kann. Ein veralteter Zylinder ist schrecklicher, als ein Buckel oder eine Erdbeernase.

Aber einen neuen kaufe ich nicht mehr.

Wenn die Mode so lange vom Zylinder nichts wissen wollte, kann sie jetzt auch warten, bis ich mich wieder nach ihr richte.

Ich werde mit meinem Zylinder warten, bis er wieder modern wird, wie der Zecher, der sich mit seinem Hausschlüssel hinstellt und wartet, bis sein Schlüsselloch kommt.

Im Kreislauf der Zylinderformen ist ganz sicher auch für meinen derzeitigen Bibi einmal wieder Platz.

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KatalognummerBW-AK-010-2158