Original

25. Mai 1922

Etwas ist mit unserer guten alten Erde los.

Die Einen reden davon, daß sich ihre Achse um ganze 15 Meter verlagert haben soll. In einem Mechanismus, wie dem des Weltenraums, wo alles so haarscharf auf einander eingestellt sein muß, damit das Uhrwerk nicht zerkracht oder warm läuft, sind 15 Meter schon ein Gegenstand.

Andere wollen eine lange Periode vorhersehen, in der unser Klima subtropischen Charakter annähme.

Das wäre eine Bescherung! Malen Sie sich bitte ein subtropisches Ösling aus! Die Sonne hätte in den langen Zwischenräumen von einer Regenperiode zur andern reichlich Zeit, alle Quellen und Bäche auszutrinken. Und mit der interkommunalen Wasserleitung des Nordens wäre es ebenfalls Essig, weil das ganze Schweicher Tal ausgetrocknet wäre. Auf den Granitfelsen über Kautenbach könnte man in fünf Minuten ein Kotelett braten. Das Bett der Mosel wäre eine skelettbleiche Rinne von Kieselsteinen, höchstens daß durch die Mitte zuweilen ein handbreites Wässerchen flösse. In den Museen hingen die Knochengerippe der letzten Hechte und Barben, daneben die Angeln der längst verstorbenen Fischer, und ein Victor Ferrant der Zukunft säße im Pfaffentaler Museum und grübelte über die verschwundene Wasserfauna unseres Ländchens. Die Brücken von Grevenmacher, Wormeldingen, Remich und Schengen wären Sehenswürdigkeiten, wie die Aquädukte der römischen Campagna. Statt des Winters hätten wir dumpfschwüle Regenperioden, statt der frischen Buchenwälder Palmenhaine, statt der Äpfel und Birnen wahrscheinlich nur Bananen und Kokosnüsse. Die Trauben würden zweimal im Jahr reif und es gäbe anhaltend einen Wein, der noch gefährlicher wäre, als der 21er. Die Belgier könnten sicher nicht mehr sagen, er sei ihnen zu sauer.

Pferde und Kühe stürben aus und es gäbe im Land nur noch Kamele.

Das alles malen Sie sich bitte aus, heute an Himmelfahrt, wo Sie im Schatten des zarten jungen Buchenlaubes Ihre Stullen verzehren. Wie ganz anders wäre es, wenn Sie diesen Ausflug später zur Zeit des subtropischen Klimas machten! Das würde Ihnen so passen, wenn Sie wie Senegalneger im Lendenschurz herumlausen könnten, wenn Sie keine Unsummen mehr für Ihre Anzüge, für die Toiletten Ihrer Frau Gemahlin, für das Schuhwerk Ihrer Kinder auszugeben bräuchten! In diesem Betracht wenigstens würde uns das subtropische Klima dem paradiesischen Zustand wieder einigermaßen nähern. (Aber diesmal würden wir bei der Geschichte mit dem Apfel besser aufpassen.)

Auch auf den Charakter der Luxemburger würde das subtropische Klima abfärben. Mit der alten Gemütlichkeit wäre es vorbei.

Die Sonne würde uns einheizen, unsere Haut würde brauner, unsere Augen und Herzen würden feuriger, der gutmütigste Hahnrei würde zum Mohr von Venedig, Mord und Totschlag wären an der Tagesordnung.

Ich hoffe zuversichtlich, die Gelehrten haben sich geirrt und es bleibt mit unserm Klima beim alten.

Sonst wandere ich nach Grönland aus, wohin dann wahrscheinlich unsere Flora und Fauna sich verschieben werden.

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