Original

16. Juni 1922

Sollen wir nicht einen Trachtenverein gründen?

Einen Verein nicht zur Erhaltung der Trachten - die wir nicht haben -, sondern zur Schaffung einer Nationaltracht.

Anderswo, wie zum Beispiel in Baden, sucht man auf dem Vereinswege das Verschwinden der Trachten zu verhindern. Ohne sonderlichen Erfolg, wie es scheint. Es hieß, die alten Bauerntrachten seien zu kostspielig geworden, deshalb stehen sie auf dem Aussterbe-Etat.

Zum Teil mag das zutreffen. Aber ich vermute, die Hauptursache liegt in der Unzweckmäßigkeit der meisten Trachten und darin, daß sie wirklich zu altfränkisch wirken.

Das Zweckmäßige ist immer im Grunde ästhetisch, und Trachten, wie manche aus dem badischen Schwarzwald z. B., sind nichts weniger als zweckmäßig. Sie verraten zu deutlich das Bestreben des Auftrumpfens und Dicketuns. An manchen Orten stülpten sich die Schwarzwäldlerinnen Ungetüme auf den Kopf, gegen die die belgischen Bärenmützen sich zwerghaft ausnehmen. Bei den Mannsleuten wiederum fällt die Sucht auf, es den Allervornehmsten, einem Minister oder Hofmarschall in Frack und Kniehosen und Schnallen und Zylinder gleichzutun.

Keine dieser Trachten ist aus der Werktagsästhetik der Bauernwelt hervorgegangen, alle suchen sich an Städtischem und Sonntäglichem zu überbieten, und darum, weil sie so fernab vom modernen Zug nach Vereinfachung liegen, verschwinden sie allmählich. Wenn es nur auf die Kosten ankäme, was wetten, daß der Bauernstolz diese Standesuniform nicht untergehen ließe!

Es gibt eine Bauerntracht, die auch ohne Vereinsmeierei nicht nur nicht verschwindet, sondern so populär geworden ist, daß sie sogar die Stadt erobert. Es ist die oberbayrische Burschen- und Dirndltracht. Keine Kommerzienratsgattin, die während ihrer Sommerfrische in Tegernsee ihre üppigen Formen nicht in ein Deandlkostüm zwängte, indes der Herr Gemahl und die Söhne in Hirschledernen stolzieren.

Diese Tracht ist eben zweckmäßig und sie ist dem Werktag angepaßt. Und darum ist sie schön, und weil sie schön ist, bleibt sie erhalten und macht Schule.

Wie wäre es, wenn wir uns eine luxemburger Bauerntracht schüfen, die denselben Grundsätzen der Zweckmäßigkeit entspräche?

Der Gedanke kam mir, als ich dieser Tage im Ösling droben einem Abgeordneten des Nordens begegnete, während er mit einem prächtigen Pferdegespann eine schwere Fuhre Eichenstämme an die nächste Bahnstation brachte.

Er trug sein Werktags-Arbeitsgewand und war zehnmal schöner, als wenn er im Sonntagsstaat zu den Sitzungen kommt.

Also: Der Bauer soll seine Festtracht nicht mühsam und ungeschickt der Stadtmode nachschaffen, er soll seine Arbeitstracht zu einem Ehrenkleid ausbauen, damit er auch Sonntags er selbst bleibe, der selbstherrliche Gebieter der Scholle, und nicht eine mißlungene Nachahmung des Stadtvolks.

Wie wäre es, Ihr Herren Maler, wenn Ihr Euch einmal aufs Entwerfen verlegen wolltet?

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KatalognummerBW-AK-010-2177