Original

17. Juni 1922

.......... Und plötzlich stand in der Nacht dieser entsetzliche Ton, er richtete sich heimtückisch auf, wie eine Schlange, er lähmte die Nerven und Gehirne, daß Menschen davon wahnsinnig wurden, er war über der Stadt wie das Heulen eines apokalyptischen Ungeheuers. Angstschreie gellten in Schlafzimmern, Hände zitterten und Augen schossen voll Angst an den Stätten, wo Menschen gesellig beisammen saßen, die Kartenspieler vergaßen auf ihr Spiel und am Billard wollte kein Stoß mehr gelingen, Liebespaare im nächtlichen Park prallten auseinander und das Barometer ihrer Leidenschaft sank auf Null, jeder suchte den nächsten Unterstand, und sogar die Polizei machte, daß sie unter Dach kam.

Die Sirene!

Nichts ist geeignet, uns das Kriegselend so greifbar in Erinnerung zu bringen, wie dieser Ton. Probieren Sie nur bitte einmal, ihn wieder nachzumachen, und sagen Sie offen, ob es Ihnen nicht in die Beine fährt, als müßten Sie schleunigst ein sicheres Obdach suchen. Kohlrabi und Tabakersatz aus Nußblättern werden wir vergessen, aber der Ton der Sirene wird jeden, der ihn in den Kriegsjahren gehört hat, bis in den Tod verfolgen.

Einer, der mitten im Entsetzen der Fliegerangriffe gelebt hat, hat jetzt dafür gesorgt, daß auch die Nachwelt noch lesen kann, was wir unter dem Krieg zu leiden hatten.

„Die Fliegerangriffe auf Luxemburg während des Weltkrieges 1914-1918 in historisch-chronologischer Darstellung, von J. P. Robert, Redakteur.“

Dem Buch sind zwei Karten beigegeben, in denen die auf Luxemburg gefallenen Bomben eingezeichnet sind. Auf einer dieser Karten sehen Sie eine Stelle, die einem Tümpel mit Froschlaich ähnlich sieht. Der Tümpel ist die Stelle der Adolphavenue zwischen Siegfried- und Feldchenstraße, der Froschlaich sind die Bomben, zwischen 30 und 40 an der Zahl. Und mitten drin wohnte der, der dies Buch geschrieben hat.

Es hat ihn keine Bombe erschlagen, sonst hätte er sein Buch nicht schreiben können, und das wäre schade.

Denn diese 164 Seiten starke Broschüre, die laut Titel sich eigentlich nur mit den Fliegerangriffen auf Luxemburg beschäftigt, ist eine ganze Geschichte des Weltkriegs, soweit sie speziell uns interessiert.

So trocken der Titel klingt, so blühend reich an interessantem Rankenwerk ist der Inhalt. J. P. Robert hat sein Süjet buchstäblich erschöpft.

Zunächst ist an seinem Buch äußerst wertvoll, daß es unzählige Details enthält, die dem Publikum nie bekannt geworden sind, weil die deutsche Militärbehörde den Zeitungen Schweigen auferlegt und deren Meldungen durch ihre eigenen, allzu diskreten Berichte ersetzt hatte.

Sodann beschränkt sich der Verfasser nicht auf eine nüchterne Aufzählung der Tatsachen. Sein Buch ist wirklich „geschrieben“, jeder Bombenüberfall liest sich wie ein Stückchen aus einem Roman, aber einem Roman, an dem jedes Tipfelchen reine Wahrheit ist.

Ein weiterer Vorzug des Buches ist seine Vollständigkeit. Der Verfasser hat alle Quellen aufgesucht und in jedem, auch dem geringsten Detail, die Tatsachen bis ins Kleinste berichtet. Sein Werk ist für die Gattung gradezu mustergültig und als geschichtliches Dokument von unschätzbarem Wert.

Alle, die unter den Fliegerbomben moralisch, physisch und materiell zu leiden hatten, werden Herrn J. P. Robert dankbar dafür sein, daß er ihnen diese kostbare Erinnerungsquelle gesichert hat.

Für unsere Enkel wird das Buch die anziehendste Geschichte des Weltkrieges bilden.

Es ist ein Haus- und Familienbuch im wahrsten Sinne des Wortes.

Und es erscheint zur guten Stunde, grade am Vorabend der Bonneweger Denkmal-Einweihung. Darum sollen hier die Sätze stehen, mit denen J. P. Robert dies treffliche Buch eines guten Luxemburgers schließt:

„Auf dem Gedenkstein, den die Einwohnerschaft von Hollerich-Bonneweg zu Ehren ihrer Kriegsopfer auf dem Friedhof von Bonneweg errichtet, stehen die Namen der Opfer der Fliegerangriffe neben denen der Söhne der Gemeinde, die auf dem Felde der Ehre, auf den Schlachtfeldern Frankreichs, gefallen sind. Besser hätte die Größe und die Gemeinschaftlichkeit des Opfers, das sie, die einen diesseits, die andern jenseits der Front, gebracht haben, nicht ausgedrückt werden können.“

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  • war: memories of sirens
KatalognummerBW-AK-010-2178