Haben Sie wieder gemerkt, wie sich die Wahrheit dagegen wehrt, aus ihrem Brunnen herausgeholt zu werden?
Erster Fall: Ein Wilderer schießt aus Versehen mit einem deutschen Militärgewehr einen Mann tot, weil er glaubte, ein Reh vor sich zu haben.
Er meint, daß sein Fall sich durch das Wildern und durch die verheimlichte Waffe verschlimmert. Alle, die deutsche Soldatenflinten in ihren Häusern versteckt halten, haben ein schlechtes Gewissen.
Also gilt es, um das Wildern und um die Mauserflinte herumzukommen. Und die Wahrheit sträubt und windet und schlängelt sich wie ein Aal und gleitet durch die Finger und will sich nicht fassen lassen. Erst ist es die gebräuchliche Lesart: Hantieren mit der geladenen Waffe, plötzlich ein Schuß, der andere sinkt ins Herz getroffen um. Dann schon brenzlicher: Feindliche Dorsgenossen, Streit wegen eines strolchenden Fixköters, unvermutetes Losgehen der Waffe, die auch ein Revolver sein kann. Ganz zuletzt der Hergang, wie er sich abspielte.
Zweiter Fall: Ihrer zweie bringen einen Artikel in die Presse. Der eine ist der Vater, der andere die Mutter.
Erst geht der Artikel als Bankert unter dem Namen der Mutter. Dann wird überall der Vater genannt, weil er, wenn er eins über den Durst getrunken hatte, sich mit seiner Vaterschaft schon vor der Geburt brüstete und weil ihm der Wechselbalg tatsächlich gleicht, wie aus dem Gesicht geschnitten.
Aber trotzdem sie keinen Mann erschossen haben, sagt der eine, er sei es nicht gewesen, und der andere wagt sich überhaupt nicht hervor. Weil sie beide moralisch die Hosen voll haben.
Die Wahrheit ist ein Weib, und dazu ein nacktes Weib. Sie sitzt in ihrem Brunnen und wagt sich nur hervor, wenn sie weiß, daß sie schön und gut gewachsen ist. Dann strahlt sie gern im Tag und läßt sich die Huldigungen der Menschen gefallen.
Ist sie aber häßlich, hat sie krumme Beine, schiefe Hüften, eine welke Haut, Zahnlücken und Triefaugen, so wehrt sie sich verzweifelt und will nicht heraus und dementierspritzt die Zeitungen voll.
Aber wer einen Blick in den Brunnen werfen will, steht sie unten hocken.