Zu den charakteristischen Merkmalen der Stadtpsyche gehört es, daß sie die Erzählergabe zerstört. Sie beraubt das Individuum der Schlichtheit, die das Merkmal des guten Erzählers ist. Sie macht fahrig, prätentiös, egoistisch, weil sie das Bewußtsein, daß man im Kampf ums Dasein steht, exaltiert. Der Erzähler mit Stadtpsyche ist um seinen Effekt besorgt und übertreibt die Sorge um das Ich. Er drückt bei jedem Effekt aufdringlich nach, will die Wirkung gewaltsam herauskitzeln. Solche Naturen gibt es ja auch auf dem Land, aber sie stechen ab, und die Zuhörer gehen nur halb mit.
Ich hörte vorgestern in einer Moselwirtsstube ein Muster von ländlicher Erzählungskunst. Ich gäbe Vieles darum, wenn ich die Geschichte hätte Wort für Wort niederschreiben können. Sie wäre in jeder Silbe und jedem Satz druckreif. Und es war ein Genuß und eine Überraschung, wie der Mann, ohne sich davon Rechenschaft zu geben, nur aus au geborenem Erzählerinstinkt heraus, die raffiniertesten Kunstregeln zur Anwendung brachte, wie sie gleichsalls durch Destillat aus den Mustern der Weltliteratur gewonnen werden. Er hatte einen Stil, so gut wie Mark Twain und Flaubert. Und er war, wie der pittoreske französische Sportausdruck heißt, auch in den dramatischsten Momenten «en dedans de son allure». Er überstürzte nichts, wandte Kunstpausen an, wie ein Vortragskünstler, flocht ohne Übergang und besondere Andeutung die direkte Rede ein wechselte mit Präsens und Imperfektum in unfehlbarem Gefühl für das Richtige ab, kurzum, es war ein rein literarischer Genuß, ihm zuzuhören.
Die Geschichte war einfach. Aber wie er sie schon vorbereitete, das verriet, wie er zu disponieren und zu komponieren wußte. Die Rede ging über die Fischerei, die andern Tags eröffnet werden sollte. Jeder gab ein Stückchen Fischerlatein zum besten. Da nahm mein Mann seine Tonpfeife aus dem Mund, spuckte aus und sagte, das erinnere ihn daran wie er einmal der dummen Fische wegen beinahe schwere Prügel gekriegt hätte.
Es begann damit, daß er abends hundemüde von der Arbeit gekommen war. Da traf er auf den Jang und den Pier - die Namen brauchen nicht zu stimmen - die sich anschickten, den Bach „zu strippen“. Sie brauchten den Kameraden, um Schmiere zu stehen, und er ging mit. Plötzlich fiel dem Jang oder dem Pier ein, daß sie keinen Sack mit hatten, wo sie die Fische hinein tun sollten. Der Erzähler, der am nächsten zuhaus war, erbot sich, rasch einen Thomassack zu holen.
Die Nacht war stockfinster. „Ich legte mich aufs Mäuerchen am Ufer und weil ich so müde war, schlief ich ein.“ Die „Stripperei“ ging mit Erfolg von statten. Bei jedem Satz mit dem Koppelnetz konnte der Pier ganze Hände voll der zappelnden Beute in den Sack stecken.
Mit einemmal erwacht der Schläfer und hört gottsmörderisch fluchen. „Ich schlage ihm die Knochen kaputt, der Deubel holt ihn mit Haut und Haaren.
Erst fuhr es ihm durch alle Glieder, daß es die Gendarmen sein könnten, aber dann erkannte er die Stimmen seiner Kumpane. Und allmählich dämmerte ihm der Zusammenhang auf.
Er hatte in der Eile und Dunkelheit einen Sack ohne Boden erwischt, und der Pier hatte eine halbe Stunde lang alle Fische oben in den Sack, den er sich umgehängt hatte, hineingesteckt, worauf sie natürlich wieder herausgeschwommen waren. Und als nn einmal sehen wollte, wieviel Pfund sie fig schon hätten, entdeckte er die Bescherung.
Der Schmierposten rettete sich auf einem weiten Steg über den Bann nachhaus.
Es ist der Rohstoff der Geschichte. Aber ländlicher, Dichter Erzählerinstinkt hatte daraus ein wahres ettstückchen gemacht.