Original

26. Juli 1922

Ein junger Mann hatte beim Orchester „An der schönen blauen Donau“ bestellt.

Da erschien mir der Wiener Walzer. Er sah aus, wie der Walzerkönig Strauß auf seinem Denkmal in Wien, vornehm schlank, mit krausem Haar, einem goldnen Monokel und tadellosem Frack.

„Ich bin der Wiener Walzer,“ sagte er elegisch, aber nicht ohne Selbstbewußtsein. „Ich stehe gegen den Foxtrott noch tiefer, als unsere Krone gegen den Dollar. Aber ich weiß, was ich wert bin, und daß ich wieder hoch komme.

Die amerikanischen Step-Tondichter und ihre europäischen Nachahmer in Ehren - aber an den Wiener Walzer reicht keiner heran. Geben Sie nur acht auf die „Schöne Blaue Donau“ zum Beispiel. Sie ist freilich ein Paradigma. Ist nicht jeder Teil ein abgerundetes Kunstwerk? Sehen Sie, wie das gebaut ist! Blicken Sie mal dem Cellisten auf die Finger, wie seine Stimme so köstlich nebenher promeniert und die Melodie sozusagen auf Samthänden trägt! Da ist Linie, da ist Fluß und Schwung! Merken Sie, wie jeder Teil eine Stimmung sui generis ausdrückt, wie er aus dem Dreitakt-Rhythmus jedesmal etwas ganz anderes macht, bald ein Schleifen und Schweben, bald ein Hüpfen und Schnellen - jeder für sich wie ein edler Wein, bald voll schwüler Süße, bald voll aufreizenden Geprickels. Das alles, sehen Sie, hat Hand und Fuß, das ist durchkomponiert! Hören Sie nur, wie beim Coda der ganze Aufbau in Schönheit versinkt! Und erinnern Sie sich noch, wie Sie damals sich mit Ihrer Tänzerin in den Strudel ziehen ließen, wie es ein Genuß war, den schlanken Füßchen zuzusehen, wie sie flink, kaum mit den Blicken zu haschen, um einander flogen! Ja, es war fast ein größerer Genuß, einem walzenden Paar zuzusehen, als selbst zu tanzen.“

Hier unterbrach ich ihn mit einer Protestgebärde.

„Ich weiß!“ sagte er lächelnd. „Heute hat man für solche Füßerhythmik kein Verständnis mehr. Man verlangt größere Deutlichkeit. Es fing übrigens schon vor dem Krieg an. Ich entsinne mich dunkel, Ihnen damals in Wien eines Abends im Tabarin begegnet zu sein. Erinnern Sie sich des Negerpaares, das den Bärentanz vorführte? Aber auch der Walzer war schon degeneriert. Man spielte grade «La valse brune». Eine seltsame einlullende Weise, die an alles mögliche Weiche, Sehnsüchtige erinnerte, aber kein Relief hatte, keinen Schwung, keinen Schmiß. Und dann kam der Krieg und machte einen Strich unter alles Alte. Und die Amerikaner kamen und drangen mit ihrer Straßenmusik in die Salons. Denn sagen Sie selbst, was die Leute da eben spielen, «The big Ben», damit zieht man spektakelnd durch die Straßen, aber das paßt nicht zu dekolletierten Dame mit Perlenhalsbändern und kostbaren Fächern und langen Schleppen.“

„Freilich,“ fiel ich ein. „Darum haben wir die Fächer und die Schleppen abgeschafft.“

„Und was sie nicht mehr von oben herunter zeigen, das zeigen sie von unten herauf. Hoch das Bein! Aber passen Sie auf, ich gehe nicht unter! Der Wiener Walzer ist unsterblich. Aber es muß ein echter Wiener sein, kein «Volvi a ver» und keine «Valse brune». Grüeß Goot!“

Und weiter rumorte das Orchester: «When the big Ben’s chimes ring out.»

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KatalognummerBW-AK-010-2210