Ein junger Pariser Romanschriftsteller, Pierre Benoit, machte dieser Tage wieder von sich reden. Man erinnert sich an die Preßfehde, die sich an seinen Roman „Atlantide“ geknüpft hatte und in der ihm vorgeworfen wurde, sein Werk sei nach dem Roman «She, a history of adventure» des Engländers Henry Rider Haggard plagiiert. Im Vorbeigehen sei gesagt, daß nie der Vorwurf des Plagiats so ungerechtfertigt war, wie in diesem Fall. Beide Romane sind auf der alten Fabel von dem großen, versunkenen Inselland Atlantis aufgebaut, als dessen Beherrscherin eine Frau seltsamen Wesens erscheint. Aber die Ausarbeitung, der Wesenston, dazu alle Einzelheiten sind derart verschieden, daß der Arbeit Pierre Benoits unmöglich der Charakter der Originalität abgesprochen werden kann.
Dieser Tage nun begab es sich, daß ein junges Mädchen auf einem Polizeikommissariat in Paris auftauchte, sich als die Verlobte Benoits ausgab und eine abenteuerliche Geschichte von einer Entführung des Schriftstellers durch irische Sinn-Feiner erzählte. Durch Wiederauftauchen, Wiederverschwinden, neues Wiederauftauchen Benoits wurde die Aufregung immer wieder geschürt, und heute weiß niemand, was hinter der Sache steckt und ob der Verfasser der „Atlantide“ nicht plötzlich aufs neue untertauchen wird.
Die Zeitungsschreiber zerbrechen sich die Köpfe über den Zweck, den Benoit verfolgt haben mag. Als Busineß-Leute, die sie sind, oder als die sie sich geben wollen, denken sie zunächst ans Geschäft. Der junge Schriftsteller will ganz einfach von sich reden machen, weil nächstens in Amerika ein Roman von ihm erscheinen soll. Die Entführungsgeschichte käme mithin auf eine amerikanische Reklame heraus.
Ich kenne die sogenannte Verlobte Pierre Benoits nicht. Kännte ich sie, so vermöchte ich mir ein Urteil darüber zu bilden, ob der junge Mann sein Verschwinden ins Werk gesetzt hat, um sie los zu werden oder nicht.
Jedenfalls glaube ich nicht an den andern, geschäftlichen Beweggrund. Ich halte es für das Wahrscheinlichste, daß Pierre Benoit einfach dem Bedürfnis nachgab, etwas Abenteuerliches zu tun und zu erleben. Ich hatte als Gymnasiast einen Kameraden, der mit einer blühenden Phantaste ausgestattet war. Alle paar Tage stand für ihn beim Portier Franz an der Türe ein Brief mit abenteuerlichem Inhalt, über den er sich unsäglich aufregte. Er zeigte uns die Briefe, erbat unsern Rat, wie er sich verhalten sollte. Einmal schrieb ihm ein durchreisender Amerikaner, er sei ein Findelkind, und er, der Amerikaner, sei sein richtiger Vater und komme, ihn heimzuholen. Ein anderes Mal erklärte ihm die Tochter einer der vornehmsten Familien der Stadt ihre Liebe.
Natürlich hatte er sich die Briefe alle selbst geschrieben. Er war ein Mann der Tat, der nicht wollte, daß seine Phantastereien ungeboren ins Nichts versänken. Und so schuf er ihnen wenigstens einen Schein von Anfang von Verwirklichung. Er lebt noch heute glücklich und zufrieden und hat es im Leben ziemlich weit gebracht.
Warum soll Pierre Benoit nicht demselben Trieb gehorcht haben, aus dem Geleise des gesellschaftlichen Lebens einmal herauszuspringen und sich seitwärts in die Büsche seiner Phantasie zu schlagen. Ohne andern Zweck, als den, etwas Abseitiges zu tun und zu erleben?