Original

5. Oktober 1922

„Erzberger, Kulturroman der Gegenwart, von Karl Widmaier, Verlag Veduka, Dillingen an der Donau, Bayern.“

Auf dem Umschlag sieht man einen Ritter im mittelalterlicher Rüstung, Lanze hoch, über Berggipfel reiten, Pfeile fliegen an ihm vorbei durch das Gesichtsfeld, darüber steht ein Kreuz, das in jedem seiner vier Winkel je einen dolchartigen Strahl aussendet.

War es jetzt schon an der Zeit, dies Buch zu schreiben, Dinge und Menschen der Kriegs- und Nachkriegszeit aus dem nüchtern klaren Bereich zur geschichtlichen Dokumentierung in das Gebiet der Phantasie, der willkürlichen, parteilichen Übertreibung nach oben und unten zu rücken? Kellermann hat es in seinem Roman „Der 9. November“ schon früher getan, aber er arbeitet nicht mit bestimmten Persönlichkeiten, die der Geschichte angehören, sondern eigentlich mit Symbolen. Hier werden alle Ki beim zivilamtlich beurkundeten Namen genannt, da knirscht dem Kulturmenschen die romantechn@ Aufmachung der Wirklichkeit unangenehm u@ den Zähnen.

Das Buch ist jedenfalls gut gemeint, aber @ verfehlt seinen Zweck. Erzberger soll als gr@ Mensch und großer Patriot darin aufleben, un@ krampfhaft sich in dieser Richtung der Verfasser @ strengt, so sicher ist es doch, daß am Ende ein @ berger vor uns steht, der dem Lebenden nichts schu@ bleibt. Ein Mann voll der Rührigkeit, die @ Strebertum und einem guten Magen geboren @ Hans Dampf in allen Gassen, getragen von e@ gewissen formalen Bildung und Rednergabe, ha@ capiert durch den Mangel an Sinn für Größe, der @ sicher an den Klippen vorbeigeführt hätte, an de@ er gescheitert ist. „Ich hab mich nie mit Kleinigkei@ abgegeben,“ war ein Wort, das er nicht kannte. @ Greßen war er nicht groß, im Kleinen allzu k@ Er war eine Natur, die Trinkgelder nicht verschmä@ Und Trinkgelder sind unter Umständen ein größe@ Verbrechen, als ein Milliardendiebstahl.

Kurt Widmaier zeigt uns seinen Helden weni@ von Angesicht zu Angesicht, als im Spiegel @ geregter Rede. Wir sehen ihn nicht in Bezieh@ z. B. zu seiner schwäbischen Heimat, wo seine star@ Wurzeln lagen, nicht im Reagieren auf die gro@ geistigen und politischen Strömungen, die in Deut@ land kreisen, in der Hauptsache wohnt der Leser @ gepeitschten Gesprächen bei, die eine Gesellsch@ karikierter Offiziere und Lebemänner alten S@ über den verhaßten Unterzeichner des Wa@ stillstandes und Vater der neuen Steuergesetze fü@ Ab und zu versucht es der Verfasser auch, uns @ die Tränendrüsen zu tippen, indem er rührse@ Familienszenen einflicht.

Am deutlichsten tritt die Verirrung zutage, @ im Roman das letzte Attentat gegen Erzberger @ gefädelt und durchgeführt wird, als Schlußakt ei@ Intrigendramas, dessen Held ein Graf Sassen @ Hier ist zurzeit noch die ausschließliche Domäne @ sachgemäßen Information. Wer heute mit e@ Figur wie Erzberger als Mittelpunkt ein Kunst@ schaffen will, muß es tun in der Form eines w@ dokumentierten Lebensbildes, in dem er je @ seiner Stellungnahme zu dem Mann sein Mate@ so oder so gruppieren, von rechts oder links beleu@ kann. Für den Roman aber war hier kein F@ zumal nicht in dieser grobschlächtigen Form, in @ @r Verfasser dem Leser seine Auffassung in den @als zu stopfen sucht.

@Das Buch, das auf literarische Bewertung keinen @spruch erhebt, wird hier aus einem ganz besondern @unde erwähnt. Wir sind über die Dinge und ihre @twicklung in Deutschland heute nur spärlich @terrichtet. Wir haben indes daran ein begreifliches @teresse. Bücher wie dieses spiegeln besser, als die @agespresse, die Unterströmungen der öffentlichen @einung, die Strebungen und Hoffnungen der @lksseele. Es kostet manchmal Anstrengung, sich @ndurch zu arbeiten, aber nachher werden einem @usammenhänge deutlich und bedeutend, die früher @klar und nebensächlich schienen.

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KatalognummerBW-AK-010-2233