Von Rosen und Reben singt ein Studentenlied. Die beiden gehören also wohl zusammen.
Aber unsere Winzer sind heuer mit ihren Reben noch lange nicht auf Rosen gebettet. Eher auf Dornen.
„Besser, es wäre gar nichts gewachsen!“ sagte mir ein alter Moselaner. „So stehen uns Wochen unsäglicher Mühe und Arbeit bevor, und was haben wir daven! Die Fron eines ganzen Jahres fließt uns in die Fässer, aber wir sehen noch keine Käufer. Und drüben, von wo uns für den Herbst die billige und geeignete Arbeitskraft kommen sollte, wird in den Dörsern ausgeschellt, daß wegen der Reblausgefahr niemand zu uns „in den Herbst“ kommen darf. Und die Arbeitslosen, die uns eventuell die Regierung zur Aushilfe schicken wird, können wir als Hottenträger und Leserinnen nicht gebrauchen.“
Die Mesel, die in den letzten Jahren so vielfach beneidet und nicht selten verschimpft wurde, ist heute viel schlechter dran, als das Ösling nach der Entwertung der Lohhecken Das Ösling hat im künstlichen Dünger einen Retter gefunden, wer wird der Mosel helfen? Es genügt nicht, daß Einzelne dank ihrer Rüheigkeit, ihren Verbindungen und ihrem Geschäftssim. sich Kunden sichern, das Wohl und Wehe eines ganzen Gaues steht auf dem Spiel.
Und für unsere Moselaner ist es ein schwacher Trost, daß es andern nicht besser geht. Solamen miseris socios habuisse malorum. Den Elenden tröstet es, wenn er Unglücksgenossen gehabt hat. Der lateinische Spruch verlegt wohlweislich das Unglück in die Vergangenheit, hier ist es gegenwärtig und vielleicht auch zukünftig.
Das Schlimme an dieser Lage ist, daß sie allgemein ist.
Die Champagne ist zurzeit nicht besser dran, als unsere Mosel. Emmanuel Bourcier veröffentlicht im „Oeuvre“ das Resultat einer Umfrage, die er angestellt hat, unsere Winzer werden daraus ersehen, daß dies berühmte Weinbaugebiet, das längst den Weltmarkt erobert hatte, vor dem Ruin steht, wenn nicht bald Hilfe kommt, und daß es zurzeit unter denselben Mißständen leidet, die auch unserer Mesel zu schaffen machen. Die Reben biegen sich unter der Traubenlast, aber die Fäule bedingt eine Beschleunigung der Lese, die am 20. September begonnen hat und noch vierzehn Tage auswärts 5000-6000 Leser und Träger zuströmten, kommen heute noch 200, trotz der hohen Löhne. Leute, die vor dem Krieg 25 Sous täglich bekamen, verlangen heute 9, 10 bis 17 Franken nebst Kost und zumeist auch Logis. Ein Drittel der Ernte ist verloren. Der größte Teil des früheren Absatzgebietes ist verschlossen, Amerika ist dry, Deutschland, Österreich, Rußland können sich keinen Champagner mehr leisten, der Verkauf ist von 26 Millionen Flaschen im Jahr 1914 auf 12 Millionen im Jahre 1921 gesunken, die Winzer, die 1920 noch 7 Franken für das Kilo Trauben bekamen, geben sie heute für 8 Sous. Sie wollen ihren Wein selber keltern und ihn „still“ für 2 Franken oder 2.50 Franken die Flasche verkaufen. Sie verwünschen die Hoteliers, die in Reims, mitten im Weinberggebiet, den Fremden Wucherpreise für den Champagner abnehmen. Sie verlangen vor allen Dingen Ermäßigung oder Abschaffung der Taxe, denn, sagen sie, wenn der Champagner ein Luxus ist für den, der ihn trinkt, so ist er doch kein Luxus für den, der ihn erzeugt und davon leben muß, für den Winzer und für die Augehörigen aller Gewerbe, die mit der Champagner-Industrie zusammenhängen. Flaschenfabrikanten, Drucker, Zwischenhändler usw. geben den Kampf auf und wandern aus, die Winzersöhne verlassen ihre Heimat, um anderswo ihr Fortkommen zu suchen, und ihre Väter finden den Mut zum Durchhalten nur in ihrer zähen Liebe zur Scholle.
Faudra-t-il arracher les vignes? fragt Emmanuel Bourcier am Schluß seines Artikels.
Sollen wir unsere Weinberge ausroden? werden sich in diesem unseligen Herbst auch viele unserer geplagten Winzer fragen.