Selten ist ein Frauenberuf in der Belletristik so aussallend schnell heimisch geworden, wie der Beruf der „Steno-Daktylo“, um sie mit ihrem kürzeren französischen Namen zu nennen. Vor einem Menschenalter ungefähr hatten es die englischen Erzieherinnen nach dem Vorbild der Waise von Lowood den Romandichtern angetan, heute sind die Steno-Daktylos, die zu Romanheldinnen verarbeitet werden, nicht mehr zu zählen. Die Leserinnen der „Luxemburger Zeitung“ waren erst kürzlich in der Lage, unter dem Strich eines dieser bezaubernden Geschöpfe, „Die Frau auf Borg“, um seine Chancen zu beneiden.
Es ist ja auch kein Wunder, daß da die Männer einschnappen. Ihr Verhältnis zu der Steno-Daktylo birgt die perfidesten Fußfallen. Diese junge, nicht selten hübsche, zuweilen mit allen Wassern gewaschene Person besindet sich dem Manne gegenüber, der ihr Brotherr ist, andauernd im Zustand unterwürfigen Empfangens, reizender Passivität. Sie hängt an seinen Lippen, schweigend, erwartungsvoll, hingebend, bereit, jedes Wort aus seinem Munde beflissen sestzuhalten. „Rede, Herr, deine Dienerin hört.“ Das Überlegenheitsgefühl des Mannes schwillt, bis es in Mitgefühl, in Mitleid, in Großmut umschmilzt. Er fühlt sich in seiner Rolle als der Stärkere, der Gebende und dafür liebend Getragene. Und da soll es ihm nicht heiß übers Herz lausen, da soll er widerstehen, wenn dieser Zauber stundenlang in der Einsamkeit des Arbeitszimmers zwischen ihr und ihm hin- und herwirkt!
Wir sind offenbar ein nüchternes Volk, denn es ist mir nicht bekannt geworden, daß hierzuland anormal viele Prinzipale ihre Steno-Daktylos geheiratet hätten. Aber fragt einmal in Paris, London, New York und andern, großen Städten, seht die KinoLiteratur! Da gehen die Steno-Daktylos ab wie die warmen Semmeln.
Es ist also immer noch ein sehr gesuchter Beruf, und wenn demnächst der Herr Pastor von Bonneweg dagegen predigt, so werden sich voraussichtlich noch viel mehr junge Mädchen dieser Lausbahn widmen.
Aber ich möchte sie vor einer Krisis warnen, unter der zurzeit die Steno-Daktylos zu leiden haben. Wer leidet heute nicht unter einer Krisis?
Die Fachblätter wollen seit einiger Zeit wahrgenemmen haben, daß die Nachfrage nach StenoDakiylos bedenklich nachgelassen hat, und sie suchen die Ursachen dieser Erscheinung zu erforschen. Sie geben die Schuld erfreulicherweise nicht nur den Angestellten, sondern auch den Anstellern. Ein Kaufmann, Financier, Ingenieur usw., der eine Stenotypistin anstellen will, muß sich ihrer auch zu bedienen wissen. Er muß ihr gegenüber sein Handwerk nicht minder verstehen, wie sie ihm gegenüber. Er muß sich klar machen, daß eine gute Daktylo nicht leicht über 40-60 Wörter in der Minute typen kann, er muß vor allem wissen, wie es gemacht wird, um mit einer bestemmten Schnelligkeit, mit 90, 100 oder 125 Wörtern in der Minute zu diktieren. Er muß bedenken, was die Ausbildung einer guten Stenotypistin gekostet hat und muß sie demnach bezahlen.
In Frankreich lernte man durch die Amerikaner, was eine gute Steno-Daktylo wert ist und was sie verdient. Die Preise gingen hoch und alles warf sich auf die Schreibmaschine und lernte stenographieren. Und da wurde wiederum vergessen, daß man zwar in 4-5 Monaten leidlich Maschinenschreiben lernen kann, daß es zur Erlernung der Stenographie für kaufmännische Zwecke aber schon viel länger braucht, und daß die Ausbildung eines Stenographen, der einem Redner zu folgen vermag, Jahre lang dauert, wobei es selbstverständliche Voraussetzung ist, daß der Betreffende die allgemeine Bildung besitzen muß, die ihn befähigt, zu verstehen, was er nachschreiben soll.
Auf diese Weise geschah es, daß eine Unmenge von Steno-Daktylos Anstellung suchten und fanden, die ihrem Beruf in keiner Weise gewachsen waren und den ganzen Stand in Mißkredit brachten.
Also: Wenn eine auf weiter nichts ausgeht, als sich von der Smith Premier weg von ihrem Prinzipal hetraten zu lassen, so darf ihr die berufliche Ausbildung Nebensache sein. Da es aber vorkommt, daß von einer Steno-Daktylo für ihr Gehalt auch entsprechende Gegenleistungen mit Stift und Maschine verlangt werden, so ist es immerhin sicherer, wenn sie sich nicht ohne tüchtige Ausbildung in den Kampf ums Dasein wagt.