Original

22. Oktober 1922

Der belgische Commandant Robert Thys, Sohn des berühmten Generals Thys, dessen Name mit dem des belgischen Kongo auf ewige Zeiten unlösbar verknüpft bleiben wird, hat ein Kriegsbuch geschrieben, das aus der erdrückenden Masse der Kriegsliteratur aller Art unbedingt herausgehoben werden muß.

Wir besitzen über den Krieg Bücher von Dichtern, von Romanschriftstellern, von Strategen, von Politikern. Die einen, die der Phantasie entsprungen oder mit Romantik durchtränkt sind, entbehren des sachlichen Werts für den, der auf Tatsachen erpicht ist. Die Strategen und Politiker, zumal wenn sie pars magna der Ereignisse waren, sehen diese meist und beim besten Willen zur Unparteilichkeit doch durch die Parteibrille. Je nachdem man ihnen gegenüber steht, unterliegt man ihrer Suada oder begegnet ihnen mit zornigem Widerspruch.

Das Buch Robert Thys’ ist das Werk eines Ingenieurs, eines Technikers, der die Dinge als Tatsachenmensch sieht und schildert.

Und was schildert er?

Die Überschwemmungen des Ysergebietes als Abwehr gegen das deutsche Vordringen, als einzige Möglichkeit der Verhinderung eines definitiven Frontdurchbruchs nach Calais.

Jedes Kind in Belgien wird Ihnen erzählen, diese rettende Tat, das Öffnen der Yserschleusen von Nieuport und die Überschwemmung des ganzen Geländes, vor dem nun die Deutschen Halt machen mußten, sei von einem schlichten Schleusenwärter namens Cogghe vollbracht worden - wenn es nicht, wie andere behaupten, der Ferge Geeraerts war. Die gezwieselte Legende wuchs ins Land, das sich schon in Cogghianer und Geeraertsianer zu teilen begann. „Hie Cogghe, hie Geeraerts,“ wäre sonder Zweifel zu einem Schlachtgeschrei angeschwollen, gegen das die Losung „Hie Bacon, hie Shakespeare,“ harmloses Geflüster gewesen wäre.

Dieser Doppellegende macht das Buch Robert Thys’ endgültig den Garaus. An die Stelle der beiden Helden von Volkes Gnaden setzt er im Namen der Wahrheit die Unzähligen, die im gegebenen Fall unter seiner Leitung eine heldenmütige, aufopfernde und komplizierte Arbeit anonym und mit Todesverachtung geleistet haben, die Mannschaften der Kompagnie «des Sapeurs-Pontonniers du Génie Belge».

Fachleute schüttelten schon immer den Kopf über die unsinnige Behauptung, daß ein patriotischer Einfall eines Schleusenwärters und ein Griff von seiner Hand genügt hätten, mit einem so komplizierten Wasserregulierungssystem eine strategisch wertvolle Überschwemmung im Nu herzustellen und vier Jahre lang durchzuhalten.

Allen Respekt vor Johanna Sebus, Wilhelm Tell und andern legendären Helden der Volksüberlieferung. Aber die geschichtliche Wahrheit hat doch sozusagen auch ein wenig Recht auf ihren Platz in der Weltgeschichte. Und die Belgier können grade so stolz auf die wirklichen Heldentaten ihrer Soldaten sein, wie auf die erfundenen Lorbeeren eines Einzelnen, der ein wackerer Mann gewesen sein mag, aber an der Überschwemmung der Yser-Ebene unschuldig war.

Das Buch des Kommandanten Thys stellt also klipp und klar die Wahrheit über diese Episode des großen Krieges wieder her. Er stützt sich auf die unmittelbarsten Quellen, die ihm in so weitem Umfang, wie keinem andern, zugänglich waren und die er durch seine persönlichen Erinnerungen aufs wertvollste ergänzen konnte. In seiner Darstellung herrscht die klare Nüchternheit vor, die allein bei einem solchen Gegenstand am Platz war. Und da ein Werk wie dieses vor allen Dingen auch zum Auge sprechen muß, hat es der Verfasser mit einem überaus reichen Bildschmuck ausgestattet. Über 600 photographische Aufnahmen, die auf dem prachtvollen Kunstdruckpapier des Buches in musterhafter Deutlichkeit zur Geltung kommen, Karten, dazu Bilder des Kriegsmalers Alfred Bastien geben diesem unvergleichlichen Werk einen dokumentarischen Wert, der mit den Jahren immer noch steigen wird.

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  • book on war from engineer's prespective
KatalognummerBW-AK-010-2248